„Wir sind vor allem für den Nachwuchs da“

Wer steht als Autor*in auf dem Titel der Publikation? Bekommt der oder die wissenschaftliche Mitarbeiter*in im Forschungsprojekt hinreichend oft Gelegenheit, dem bzw. der Betreuer*in Fortschritte darzulegen sowie Herausforderungen fachlich zu erörtern? Und hat er/sie genügend Zeit für die wissenschaftliche Arbeit, oder müssen auch drei Labore betreut und alle Materialbestellungen erledigt werden? „Forschung birgt Konfliktstoff“, sagt Prof. Dr. Jochen Twele. „Vor allem Nachwuchswissenschaftler*innen brauchen manchmal Beratung“, ergänzt seine Kollegin Prof. Dr. Anja Pfennig. Als unabhängige Ombudspersonen stehen die beiden Wissenschaftler*innen seit Oktober 2022 allen Hochschulmitgliedern rund um die Themen „Gute wissenschaftliche Praxis“ sowie „Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten zur Verfügung“. Prof. Dr. Twele ist Ombudsmann, Prof. Dr. Pfennig seine Stellvertreterin. Im Interview sprechen sie über das neu geschaffene Amt und das Selbstverständnis, mit dem sie es wahrnehmen wollen.

Was bringen Sie mit für die Funktion der Ombudspersonen?

Prof. Dr. Twele und Prof. Dr. Pfennig: Langjährige Forschungserfahrung, sehr gute Kenntnisse der HTW-Strukturen, eine große Nähe zum wissenschaftlichen Nachwuchs, persönliche Unabhängigkeit inklusive der Bereitschaft, auch klare Worte zu sprechen, und schließlich unser Standing in der Hochschule.

Für wie wichtig halten Sie die Rolle der Ombudsperson?

Prof. Dr. Twele: Ich halte Ombudspersonen für sinnvoll, denn in Forschungskontexten gibt es Konfliktstoff, das kann man nicht leugnen. Ich erwarte vor allem Bedarf von Seiten des wissenschaftlichen Nachwuchses, weil hier die Abhängigkeiten am größten sind. Ich persönlich habe mich auf jeden Fall selten so abhängig gefühlt wie während meiner Promotion. Da ging es nicht immer um Fachliches, sondern auch um Eitelkeiten und Rivalitäten der etablierten Wissenschaftler*innen, denen ich als Youngster ausgeliefert war.
Prof. Dr. Pfennig: Auch ich glaube, dass vor allem Nachwuchswissenschaftler*innen Fürsprache und Beratung gebrauchen können. Denn sie haben noch nicht das Standing von Professor*innen, die seit vielen Jahren forschen und Projekte leiten.

Werden Sie als Team arbeiten?

Prof. Dr. Twele und Prof. Dr. Pfennig: Ein ganz klares Ja. Wir stehen beide als Ansprechpartner*innen zur Verfügung. Denn es ist gut möglich, dass ratsuchende Hochschulmitglieder unterschiedlich viel Vertrauen zu uns empfinden. Und Vertrauen ist elementar in diesem Zusammenhang. Unabhängig davon werden wir uns gegenseitig informieren und auch untereinander austauschen.

Was könnten Fälle für Ombudspersonen sein?

Prof. Dr. Pfennig: Streitigkeiten um die Autorschaft beispielsweise, also die Frage: Wer steht in welcher Reihenfolge als Autor*in auf dem Deckblatt einer Publikation oder eines Aufsatzes? Das ist ein vermintes Feld, noch dazu unterscheiden sich die Gepflogenheiten zwischen den Fächerkulturen. Ein anderes Beispiel: Ein*e Forschungs- oder Projektleiter*in teilt den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, die promovieren, Aufgaben zu, die eigentlich nicht von ihnen zu erledigen sind, mit der Folge, dass sie zu wenig Zeit für ihre wissenschaftliche Arbeit haben. Man muss immer sehen, dass Promotionsstellen zugleich der Qualifizierung dienen.
Prof. Dr. Twele: Auch die umgekehrte Konstellation ist denkbar: Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen sehen sich mit überzogenen Ansprüchen konfrontiert, die sie nicht erfüllen können. Oder nehmen Sie den Klassiker: Ein*e Wissenschaftler*in publiziert Forschungsergebnisse unter eigenem Namen, obwohl sie inhaltlich auf das Konto der Mitarbeiter*innen gehen.

Wo sehen Sie keine Zuständigkeit?

Prof. Dr. Twele: Wir werden sicher nicht bei Konflikten zwischen Kooperationspartnern in Forschungsprojekten oder bei Streitigkeiten mit Mittelgebern vermitteln. Da sind Jurist*innen gefragt. Auch Abschlussarbeiten sind kein Fall für Ombudspersonen, denn sie sind Teil der Studienleistung, hier greifen Studien- und Prüfungsordnungen. Dasselbe gilt für Betrugsversuche in Prüfungen. Das ist kein Fall von schlechter wissenschaftlicher Praxis, ergo kann man auch nicht vermitteln.
Prof. Dr. Pfennig: Mobbing oder sexuelle Belästigung sind keine Angelegenheit für uns Ombudspersonen, sondern für die Gleichstellungsbeauftragte oder andere Instanzen in der Hochschule. Auch bei arbeitsrechtlichen Fragen sehen wir uns nicht in der Pflicht. Wenn ein*e wissenschaftliche*r Mitarbeiter*in beispielsweise seine/ihre Arbeitszeit nicht einhält oder gar nicht auftaucht, geht es nicht um gute oder schlechte wissenschaftliche Praxis. Eine Gratwanderung ist es sicher, wenn sich ein*e WiMi schlecht durch sein*e Professor*in betreut fühlt. Ist das eine persönliche Führungsschwäche oder schlechte wissenschaftliche Praxis? Das wird man im Einzelfall und nach Gesprächen entscheiden müssen.

Mit welchem Selbstverständnis werden Sie agieren?

Prof. Dr. Pfennig: Lassen Sie es mich so formulieren: Wir wollen gute wissenschaftliche Praxis empathisch unterstützen. Ich will Ansprechpartnerin und als solche auch hochschulweit bekannt sein, gehe aber mit dem Amt nicht hausieren, denn Ombudspersonen sind keine Dienstleister, sondern eine Instanz für den Notfall.
Prof. Dr. Twele: Wir reagieren, wenn man auf uns zukommt, aber wir werden nicht proaktiv. Gleichwohl haben wir uns vorgenommen, bei Veranstaltungen, die inhaltliche Anknüpfungspunkte bieten, präsent zu sein und bei Bedarf inhaltlich beizutragen.

Welche Instrumentarien stehen Ihnen als Ombudspersonen zur Verfügung?

Prof. Dr. Pfennig: Schlussendlich „nur“ das Gespräch. Durch vertrauensvolle Gespräche, Mediation und Beratung wollen wir zur Lösung von Konflikten beitragen.