Ein Navigator für die digitale Transformation
Prof. Dr. Jacek Zawisza vergleicht Veränderungsbereitschaft gerne mit einem Muskel. „Veränderungsbereitschaft muss trainiert werden, wie jeder andere Muskel auch“, sagt der Experte für Betriebliche Informationssysteme und Digitalisierung im Fachbereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. Die passenden „Übungen“ wird der Wissenschaftler im Projekt „Digital Plus“ entwickeln. Mit seiner Expertise verstärkt Prof. Dr. Zawisza das neunköpfige Team, das im gleichnamigen Vorgängerprojekt den digitalen Reifegrad von kleinen und mittelständischen Berliner Unternehmen untersucht hat. Im Folgeprojekt geht es darum, die Erkenntnisse in Form von klaren Handlungsempfehlungen aufzubereiten und bereitzustellen. Kooperationspartner ist die Digitalagentur Berlin, die finanzielle Förderung kommt von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe.
KMU haben großen Bedarf an Empfehlungen
Dass Bedarf an Empfehlungen besteht, haben die mehr als 100 Workshops gezeigt, welche die HTW-Wissenschaftler*innen zwischen 2020 und 2022 durchgeführt haben. „Viele Berliner KMU stecken digital noch in den Kinderschuhen, weil sie nicht über die notwendigen Ressourcen und Kompetenzen verfügen, um die digitale Transformation ihrer Betriebe voranzutreiben“, lautete seinerzeit das ernüchternde Resümée. An diesem Punkt will Prof. Dr. Zawisza ansetzen.
Bestehende Angebote transparent machen
Sein Plan: Ein Digitalisierungsnavigator holt die Unternehmen dort ab, wo sie in punkto Digitalisierung stehen, und lotst sie behutsam durch die vielfältigen Informationen, die es bereits gibt. „Wir wollen keinesfalls das Rad neu erfinden, sondern bestehende Angebote und Möglichkeiten transparent machen“, sagt der Professor. Und es sei wichtig, niedrigschwellig an die Zielgruppe heranzutreten. Sein erklärtes Ziel: keine Buzzwords und kein Fachjargon, um auch solche Unternehmen zu erreichen, die sich noch wenig Gedanken zum Thema Digitalisierung gemacht haben.
Den Einstieg nicht verpassen
Denn Prof. Dr. Zawisza will Veränderungsbereitschaft wecken. Diese Veränderungsbereitschaft hält er – Stichwort: Muskeltraining – aus verschiedenen Gründen für wichtig. „Ein über viele Jahre erfolgreicher Betrieb kann allein dadurch ins Hintertreffen geraten, dass die Konkurrenz ihre Geschäftsprozesse mit Hilfe von digitalen Tools effizienter gestaltet“, sagt er. In diesem Zusammenhang führt er gerne den Boiling-Frog-Effekt an, bei dem der Frosch die Gefahr von kochend heißem Wasser sofort realisiert und aus dem Topf springt, dort hingegen verharrt, wenn das Experiment mit kaltem Wasser beginnt, weil das Tier seine Körpertemperatur der Umgebung anzupassen vermag und so lange sitzen bleibt, bis es für den Absprung zu spät ist. Wenn ein Unternehmen den Einstieg in die Digitalisierung versäumt und irgendwann aus dem Dornröschenschlaf aufwacht, könne es womöglich schon zu spät sein, Veränderungen herbeizuführen.
Regelmäßig "digitale Gymnastik" machen
Wer regelmäßig „digitale Gymnastik“ macht, senkt nach Erfahrung von Prof. Dr. Zawisza das Risiko, den Anschluss zu verpassen. Dass es für den unternehmerischen Erfolg auch andere wichtige Kategorien gibt, weiß der Wissenschaftler selbstverständlich. Doch weil die Digitalisierung ein ebenso dynamischer wie offener Prozess und die Richtung, die sie nimmt, schwer zu kalkulieren sei, dürfe man sie keinesfalls aus dem Auge verlieren.
Schrittweise Entwicklung mit der Zielgruppe
Der Digitalisierungsnavigator soll den Unternehmen genau dabei helfen. Seine Entwicklung wird schrittweise nach dem aus der Startup-Welt bekannten„Build-Measure-Learn“-Prinzip passieren. „Wir formulieren eine Hypothese, prüfen sie in der Realität und behalten, was funktioniert“, skizziert er die geplante Methode. Denn Prof. Dr. Zawisza ist fest davon überzeugt, dass man testen muss, ehe man mit irgendeiner Anwendung an den Start geht. „Sie können nach allen Regeln der Kunst eine phantastische Webseite bauen, aber wenn sie keiner besucht, ist niemandem geholfen“, sagt er. Folgerichtig steht noch nicht fest, welche Form der Digitalisierungsnavigator final annehmen wird. Die ersten Usability-Tests werden mit etwa einem Dutzend Unternehmen aus dem ersten Projekt stattfinden, außerdem will das Team sukzessive neue Unternehmen an Bord nehmen, um eine möglichst große Bandbreite an Zielgruppen abzudecken.
"Der Prototyp darf einem peinlich sein"
Prof. Dr. Zawisza freut sich auf den Entwicklungsprozess. Aus seiner Zeit als Gründer und Geschäftsführer eines Start-up im Bereich Logistiksoftware bringt er dafür eine wichtige Erfahrung mit. „Wenn es einem nicht peinlich ist, den Prototypen vorzustellen, dann hat man damit zu lange gewartet“, lächelt er. Ihm wird es definitiv nicht unangenehm sein, schon bald einen nicht vollständig ausgereiften Digitalisierungsnavigator vorzustellen und Verbesserungsvorschläge in die nächste Entwicklungsrunde mitzunehmen.