Wie wird der Bahnhof künftig aussehen?

Sie kommen beim Spaziergang an der Großbaustelle des nahegelegenen S-Bahnhofs vorbei und sind neugierig, wie es dort nach Abschluss der Arbeiten aussehen wird? Ihr Smartphone könnte Ihnen das bereits heute zeigen, genauer gesagt: die auf dem Smartphone installierte App, an der ein Projektkonsortium namens INSPIRER arbeitet, allen voran Wissenschaftler der HTW Berlin. „Wir wollen virtuelle Realität nutzen, um die Bürgerbeteiligung an der Stadtplanung anschaulicher zu machen und zu vereinfachen“, sagen die beiden Informatiker Prof. Dr. Johann Habakuk Israel und Prof. Dr. Thomas Jung. Für das visionäre Projekt, an dem weitere Hochschulen und Technologieunternehmen beteiligt sind, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) insgesamt 1,8 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Alle Informationen in der App

Zurück zur Baustelle: Sie würden also das Smartphone zücken, die App öffnen, und bekämen auf dem Display sowohl das reale Bild zu sehen als auch die virtuelle Ansicht des geplanten S-Bahnhofs, und zwar genau von dem Standort aus, an dem Sie sich gerade befinden. Auch die Information zur Bauzeit wäre verfügbar, außerdem weitere interessante Details zur geplanten Wegeführung, Infrastruktur und den Parkplätzen. Dabei fällt Ihnen womöglich auf, dass es kaum Stellplätze für Fahrräder zu geben scheint. Ein Versäumnis? Flugs ein paar Zeilen getippt, schon geht der Hinweis an die Stadtplaner_innen, die das Feedback aufgreifen können.

Die Akzeptanz von Baustellen wäre größer

Das ist eines der Szenarien, die dem HTW-Team bei der App-Entwicklung vorschweben. „Baustellen sind bekanntlich ziemlich lästig“, sagt Prof. Dr. Jung. Aber wenn sich Betroffene besser vorstellen können, wie es später einmal aussieht, dann wachse die Akzeptanz und der oft Jahre dauernde Prozess könne besser moderiert werden, ist der Experte für Augmented Reality überzeugt.

Man könnte auch Vorschläge einreichen

Ein anderes Szenario ist die Funktion, per App Vorschläge und Ideen zu unterbreiten, wie sich bestehende Räume oder Plätze bürgerfreundlicher gestalten ließen. „Anwohner_innen könnten die Verwaltung auf Bedürfnisse aufmerksam machen, die diese nicht auf dem Schirm hat, ähnlich wie heutzutage bei der Produktentwicklung immer öfter auch Nutzer*innen einbezogen werden“, veranschaulicht Prof. Dr. Israel, Experte für Virtual Reality. Mehr Papierkörbe, damit der Park nicht so schnell vermüllt; ein paar Bäume für den oft sonnigen Platz, damit man es dort auch in Zeiten des Klimawandels aushält, und so weiter und so fort.

Erwartung der Nutzer*innen vorher abgefragt

Weil die Informatiker nicht am Alltag der Menschen vorbeitüfteln wollen, haben sie die Erwartungshaltung künftiger Nutzer*innen zu Projektbeginn abgefragt. „Die App sollte sich an bekannten Anwendungen orientieren, im Design überzeugen, einfach zu bedienen sein und unbedingt mit Portalen verknüpft werden, in welche Kommunen bereits jetzt Infos zu Baustellen, Bauplätzen und zur Stadtplanung einpflegen, um den Zugang zu vorhandenen Karten sowie weiteren Geoinformationssystemen zu erlauben“, fasst Christoph Holtmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei INSPIRER, die wichtigsten Ergebnisse der Befragung zusammen. Was den obligatorischen Datenschutz anbelangt: Wenn die Identität der Nutzer_innen geschützt wird und sie vorab einschlägig aufgeklärt würden, seien die meisten bereit mitzumachen.

Komplexe Technologie im Hintergrund

Was so smart daherkommt – hier ein Textfeld, dort eine Auswahl an Objekten wie Parkbänke, Mülleimer, Bäume etc., sodann echte und virtuelle Stadtansichten aus allen Perspektiven und dazu die Möglichkeit, neue Ideen einfach selbst zu zeichnen – setzt komplexe Technologie im Hintergrund voraus. Sonst wäre es auch kein Forschungsprojekt, bei dem acht Partner zusammenarbeiten, darunter vier Hochschulen, zwei auf Virtuelle Realität bzw. auf Punktwolken und deren Analyse spezialisierte Unternehmen sowie die baden-württembergische Stadt Fellbach, mit deren Daten die ersten Prototypen für sogenannte Use Cases erstellt werden. Auch das Berliner Frauencomputerzentrum ist mit von der Partie. Es wird darauf achten, dass die App auch für weniger technikaffine Menschen taugt. „Diesen Anspruch wollen wir im Auge behalten und die Funktionalitäten in punkto Nutzerfreundlichkeit fortlaufend testen“, verspricht Sebastian Keppler, der zweite wissenschaftliche Mitarbeiter im Team der HTW Berlin, wo übrigens alle Fäden zusammenlaufen. Mit dem Gesamtkonzept, der Koordination und dem Projektmanagement stemmt das vierköpfige HTW-Team bis 2024 den größten Part von INSPIRER.

Benötigt wird der digitale Zwilling einer Stadt

Komplexe Technologie steckt dahinter, weil für die geplante App erst einmal der digitale Zwilling einer Stadt benötigt wird. Dafür müssen ihr Grundriss gescannt sein und die dreidimensionalen Bauten mit Hilfe der sogenannten Punktwolken-Technologie erzeugt werden, ehe man beides im nächsten Schritt um Ansichten von geplanten, noch nicht gebauten Gebäuden anreichern kann. Während die so entstehende Augmented Reality in Innenräumen schon ganz gut funktioniert, muss sie im Projekt nunmehr in Außenräume übertragen werden. Schließlich wechseln die Jahreszeiten, das Tageslicht und das Wetter. Nicht ganz trivial also. Auch die Positionierung im Stadtraum muss möglichst exakt sein, um wirklichkeitsgetreue Ansichten zu erzeugen.

Die erste Drohne ist schon über den Campus geflogen

Wie in Forschungsprojekten üblich, werden bei INSPIRER erst Prototypen entwickelt, diese getestet, dann weiterentwickelt, wieder getestet – man spricht von einem iterativen Prozess. Gearbeitet wird erst einmal am Beispiel von Fellbach, doch perspektivisch könnte sich ganz Deutschland in der Punktwolke befinden, wirft Prof. Dr. Jung einen Blick in die Zukunft. Zumindest der Campus Wilhelminenhof der HTW Berlin ist schon auf dem Weg dorthin. Für das Testszenario des HTW-Teams ist bereits eine Drohne über den Campus geflogen und hat dabei auch eine Punktwolke generiert, freut sich Prof. Dr. Israel.

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