Mit Fridolean ohne Warten ins Sportstudio

Wer hätte nicht gerne eine Brille, deren intelligente Sensoren die persönliche Stimmung scannen und sie dadurch verbessern? Oder eine neuartige Armbanduhr namens „MotiWatch“, die nicht nur an Pflichten erinnert, sondern für deren Erledigung Punkte vergibt und so für frische Motivation sorgt? Und wer würde nicht lieber in einer Gondel zum Sportstudio schweben, statt auf die mal wieder deutlich verspätete S-Bahn zu warten? Drei pfiffige Ideen von Schüler*innen des Oberstufenzentrums I Barnim, die der Einladung des Studiengangs Kommunikationsdesign zum einwöchigen Design Thinking-Workshop gefolgt waren. „Meine Studentinnen lernen, indem sie lehren, und die Schüler*innen bekommen eine anschauliche Vorstellung von unserem Studiengang“, freut sich Prof. Birgit Bauer über die Win-win-Konstellation der von ihr regelmäßig betreuten Schulprojekte.

Workshop-Premiere für die drei Studentinnen

37 Augenpaare ruhen auf Anne Franke, Lili Metz und Vivien Katschak, die im 6. Semester Kommunikationsdesign studieren und anhand einer Präsentation erläutern, was sich hinter der Methode Design Thinking verbirgt und wie man einen solchen Prozess angeht. Den Workshop bieten die Studentinnen zum ersten Mal an, doch das Konzept haben sie mit Prof. Birgit Bauer ausführlich besprochen und fühlen sich inhaltlich gut vorbereitet. Zur Vorbereitung gehörte auch die Beschäftigung mit dem Krieg in der Ukraine, denn sechs Schüler*innen sind vor ihm geflohen und noch dabei, sich Schritt für Schritt in ihrer neuen Umgebung zurechtzufinden. Da hilft es sehr, dass Wladimir Mjodow, ein aus der Ukraine stammender Lehrer für Mathematik und Informatik, der seit 35 Jahren in Deutschland lebt und längst deutscher Staatsbürger ist, simultan übersetzt.

Gesucht: Stimmungsaufheller für nervige Situationen

„Gestaltet einen Stimmungsaufheller für eine Situation, die Euch öfter Probleme bereitet und mit der Ihr Euch immer wieder herumquält!“ Diese Aufgabe bekommen die Schüler*innen von dem HTW-Trio. Lange nachdenken müssen die Teenager nicht: Stress mit den Eltern oder in der Beziehung, Überforderung im Alltag, aber auch Langeweile beim ermüdenden Warten im Öffentlichen Nahverkehr. Die ukrainische Gruppe schlägt das Thema „Erblindung“ und die damit verbundene Angst vor, vermutlich kein Zufall. Nun können alle den ersten Schritt im Design Thinking Prozess machen und die Person definieren, für die sie eine Lösung entwickeln wollen. Die drei Studentinnen verteilen Stifte und Papier, damit die Personas so anschaulich wie möglich dargestellt werden. Später bekommen die Arbeitsgruppen weitere Materialien und Utensilien, damit aus Ideen echte Prototypen zum Anfassen werden. Was das Modellbaustudio des Studiengangs Industrial Design im Fachbereich 5 dafür hergibt, hatte Gerald Hanke, Werkstattleiter und Laboringenieur, den Schüler*innen gezeigt.

Vier Tage wird gebrainstormt und gebastelt

Vier Tage lang wird an den Tischen in Halle B2 auf dem Campus Wilhelminenhof eifrig gebrainstormt und diskutiert, werden Ideen entwickelt und wieder verworfen, wird gezeichnet und gebastelt. Die schönsten Momente hält Lea Waldera aus dem Studiengang Kommunikationsdesign mit der Kamera fest. Der Klassenlehrer Dennis Meier-Schindler, einst selbst Student an der HTW Berlin und inzwischen Studienrat für Kunst, Mediendesign und Designtechnik, beobachtet das Treiben mit Freude. Über ihn als Alumnus und seinen immer noch engen Kontakt zur Hochschule, genauer gesagt: zu Prof. Birgit Bauer, war der Workshop zustande gekommen.

Am Ende pitchen sechs Arbeitsgruppen

Am letzten Tag steht der von allen mit Spannung erwartete Pitch an. Die sechs Gruppen präsentieren ihre Produkte, aus den drei Studentinnen wird eine fachkundige Jury, die sich nach 60 Minuten zur geheimen Beratung zurückzieht. Akribisch und nach sorgfältig definierten Kriterien geht sie Idee für Idee durch. Wer soll den 1. Preis bekommen? Die MotiWatch, die von der Gruppe sehr professionell mit dem Claim „Coming soon“ angekündigt wurde? Oder doch die Mood Changing Glasses, bei der sogar an Sehstärke und Sonnenschutz gedacht worden war? Vielleicht der Holo-Friend, der hilft, Zeit sinnvoll zu nutzen, statt sie mit Handyspielen oder Videos zu verdaddeln? Oder die Kalender-App mit interaktivem Fischglas, bei der man im Gegenzug für erledigte Aufgaben Punkte erwirbt und damit Fische kaufen kann, die höchst beruhigend hin- und herschwimmen? Auch der vierbeinige Gefährte der ukrainischen Gruppe, der seinem blinden Besitzer Gesellschaft und Geborgenheit schenkt, gefällt den Studentinnen gut.

"Fridolean" macht das Rennen

Schlussendlich votiert die Jury für das Unternehmen BEAN Industries und deren Fridolean, mit dem das Warten im Öffentlichen Nahverkehr ein Ende hat und eine völlig neue Fortbewegung in Berlin möglich macht. In verschieden großen Kabinen würde man von S-Bahnhof zu S-Bahnhof schweben, wahlweise zu zweit in der Baby-Bean, zu viert in der Mid-Bean, zu zwölft in der Big-Bean oder in der Hyper-Bean für größere Strecken. Wenn eine Bean weg wäre, käme schon die nächste. Kein Mensch müsste sich mehr die Beine auf dem S-Bahnsteig in den Bauch stehen, um schnell ins Sportstudio zu kommen, so die Vision der Schüler*innen.

Sonderapplaus für den ukrainischen Beitrag

Pädagogisch höchst vorbildlich vergeben die Studentinnen nach Platz 1 keine weiteren Platzierungen, sondern würdigen die positiven Aspekte aller übrigen Vorschläge. Mal loben sie die weit gediehene Detailgenauigkeit, mal das inklusive Design, mal das Wording, mal die visionäre Herangehensweise, mal die Illustrationen oder die gute Darstellung des Prozesses, an dessen Ende das Produkt stand. Einen Sonderapplaus erntet die ukrainische Gruppe, die sich mit ihrem komplett deutschsprachigen Vortrag alle Sympathien erworben hat. Prof. Birgit Bauer würde ihr dafür gerne einen Preis für außergewöhnlichen Mut geben.

Lernen durch Lernen funktioniert besonders gut

Die Hochschullehrerin und Expertin für Designkonzeption, Designdidaktik und Designmethoden ist überhaupt sehr angetan von der Innovationsfreude und Medienkompetenz der Schüler*innen. „Ich hoffe, viele bewerben sich für Studiengänge im Fachbereich Gestaltung“, sagt sie. Dass Schulprojekte potenzielle Bewerber*innen auf den Fachbereich aufmerksam machen, ist ihrer Meinung nach einer der Pluspunkte. Dass die Studierenden völlig anders lernen, wenn sie die Rolle wechseln, ein weiterer. Prof. Bauer weiß aus Erfahrung, dass die Methode „Lernen durch Lehren“ bestens funktioniert. Wer sich darauf vorbereite, anderen etwas zu vermitteln, beschäftige sich intensiver als gewöhnlich mit der Materie.

Leistungspunkte für das studentische Trio

Anne Franke, Lili Metz und Vivien Katschak können das nur bestätigen. „Danke für die coole Woche“, verabschieden sie sich von ihren Gästen. Für ihr ehrenamtliches Engagement bekommen die Studentinnen Leistungspunkte im Rahmen des Moduls „Designpraxis“. Doch vielleicht, denkt Prof. Bauer laut nach, lässt sich aus dieser Form der Zusammenarbeit mit Schulen ein Allgemeinwissenschaftliches Ergänzungsfach machen, das allen Studierenden der HTW Berlin offen stünde. Das Potenzial ist da, ist sie sich sicher.