Katrin Hinz
Katrin Hinz
Als Professorin der ersten Stunde kennen Sie die HTW Berlin wie kaum eine andere. Was macht für Sie das Wesen der Hochschule aus?
Für mich ist die HTW Berlin geprägt von ihrer Vielseitigkeit, Anpassungsfähigkeit an notwendige gesellschaftliche Bedarfe, oft sehr proaktiv, experimentierfreudig und man merkt bis heute auch ihre Wurzeln, die im Osten Berlins liegen. In den fast 30 Jahren, die ich die Hochschule kenne, hat sie sich fundamental verändert und immer positiv nach vorn entwickelt.
Was sind Ihre schönsten Erinnerungen an Ihre Zeit als Professorin hier?
Kann ich so gar nicht definieren, denn jede Periode hat ihre schönen Erinnerungen. Sicherlich sind die ersten Semester bei der Gründung eines neuen Studienganges immer am aufregendsten und die Begegnung mit den jungen und neugierigen Studierenden und die Entwicklung eines Kollegiums, dessen Zusammenwachsen und dann die ersten sichtbaren Erfolge sind am prägendsten, brauchen aber auch die meiste Kraft. Aber es geht mir immer das Herz auf und es ist besonders schön, wenn auch nach Jahren noch Alumni zur Jahresausstellung - der Werkschau - kommen und sagen, wie prägend und wichtig das Studium für sie war oder sich an irgendeine Vorlesung oder ein Projekt erinnern, was ihnen nachhaltig die Augen geöffnet hat. Ebenso schön ist es inzwischen, junge Kolleg*innen in Professuren im Design zu haben, die von uns kommen und mit denen ich mich jetzt auf Augenhöhe austauschen kann.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entwicklungen an der Hochschule seit ihrer Gründung?
Ganz sicherlich der neue Campus in Oberschöneweide, eine flexiblere und interdisziplinäre Forschungsstrategie, die hochschuldidaktische Weiterbildung unserer Neuberufenen, eine sich immer mehr entwickelnde Anerkennungskultur für gute Lehre und Forschung und die Digitalisierung, die sicherlich durch Corona noch einmal einen Schub nach vorn gemacht hat. Dafür ist aber auch der Austausch untereinander wichtig und dafür sind sehr gute Plattformen geschaffen worden. Ich weiß, vielen ist dies an der Hochschule noch nicht genug, aber ich bin international viel unterwegs und da hilft es oft den Blick von draußen rein ins eigene System zu werfen. Und glauben Sie mir, wir sind da wirklich besser, als wir oft selbst wahrnehmen.
Was waren Ihre größten persönlichen Erfolge?
Einer der schönsten Erfolge war sicherlich, als der Senat von Berlin und der Wissenschaftsrat des Bundes 2004 die Gelder frei gegeben haben und die Genehmigung für den Bau des Campus Wilhelminenhof und damit die Zusammenführung von vier Standorten auf einen Standort an der Spree. Dafür hatten wir anderthalb Jahre hart auf allen politischen Ebenen und innerhalb der Hochschule als Präsidium gekämpft. Ich als Vizepräsidentin für Forschung und Transfer und als studierte Architektin hatte mich naturgemäß besonders engagiert und war nicht nur auf Begeisterung in der Hochschule gestoßen. Immer wenn ich auf der Terrasse der Mensa sitze oder vom Lesesaal der Bibliothek auf die Spree sehe, überkommt mich da ein Glücksgefühl und auch ein wenig Stolz darauf, dass wir am Ball geblieben sind und die jungen Kolleg*innen das Potenzial so selbstverständlich nutzen, welches daraus erwachsen ist. Dann war da noch das Museum Wukro in Äthiopien, welches wir mit einem interdisziplinären Team und einer Fördergesellschaft mit aufgebaut haben. Über 20 Studierende aus den Studiengängen Konservierung- Restaurierung, Kommunikationsdesign und Industrial Design, haben drei Semester daran gearbeitet und dann vor Ort drei Monate die Ausstellung praktisch umgesetzt. Das war wirklich ein Abenteuer und spannend wie ein Indiana-Jones-Film. Aber den Stolz der Einwohner*innen bei der Eröffnung mit einem rauschenden Fest mit hunderten Gästen und den berührenden Einträgen ins Gästebuch werden ich und die beteiligten Kolleg*innen und vor allem die Studierenden nie im Leben vergessen. Solche Erlebnisse und Erfahrungen verändern den Blick auf uns selbst und unsere eigene Kultur nachhaltig.
Was waren die größten Herausforderungen?
Als kreativer Mensch sucht man ja immer kreative Lösungen, und bürokratische Tanker wie eine Hochschule sind da ein Widerspruch. Heute sind wir da schon sensationell flexibel, aber in den Anfängen war es ein unvorstellbar schwerer Kampf in einer rein von Ingenieur*innen und Betriebswirt*innen geprägten Kultur, die Bedürfnisse kreativer Studiengänge zu erklären und eigene Wege durchzusetzen. Dafür braucht man langen Atem und muss Auseinandersetzungen möglichst abstrakt bewerten und nicht alles persönlich nehmen. An dem Ziel, Industrial Design als Studiengang zu gründen, bin ich 12 Jahre dran geblieben und dann war es soweit, dass sich eine Tür auftat. Kreative sind ja oft spontan, aber sie nutzen auch viele systematische Methoden und das hilft, am Ende auch große Widerstände zu brechen.
Im Rückblick sieht man Dinge oft anders: Gibt es etwas, dass Sie aus heutiger Perspektive anders machen würden?
Ehrlich gesagt blicke ich da wenig zurück. Es gibt immer so viel spannend Neues, und Dinge entwickeln sich ja immer im Kontext der gegebenen Rahmenbedingungen und die ändern sich eben permanent. Heute würde ich wahrscheinlich noch radikaler die Qualität von Designmethoden und Kreativität für die Innovation und für zukunftsfähige Lehre verteidigen und vorantreiben, auch für andere Fachgebiete und noch selbstbewusster unsere Erfolge betonen, statt ständig in einen Verteidigungsmodus zu gehen. Aber inzwischen ist dies auch nicht mehr so notwendig wie vor 30 Jahren. Da wurden die Design- und Kultur-Studiengänge ja noch als "Orchideen im Steingarten der Technik" bezeichnet von einem der ersten Präsidenten in der Gründungsphase, und entsprechend wurden wir auch nicht ernst genommen. Das hat sich grundlegend verändert und daher hat jede Zeit ihre Strategie und Lösungsansätze. Meine Devise: weniger zurückblicken und stattdessen nach guten Ideen für die Zukunft suchen und aufmerksam auf andere Wissenschaftsgebiete sehen und sich davon inspirieren lassen.
Was wünschen Sie der HTW Berlin für die Zukunft?
Man kann sich ja denken, dass für mich das Ideal ein großer Campus wäre, noch weniger "Fächerdenken", mehr Neugier auf andere Gebiete und ansonsten so wie bisher: nie stillstehen und sich auf dem Erreichten ausruhen. Das ist für mich wirklich die größte Stärke der HTW Berlin. Wenn da der Spirit bleibt und Gestaltungsmöglichkeiten für die Kollegien und die engagierten Studierenden, dann kann eigentlich nichts schief gehen. Wir könnten aus meiner Sicht auch noch internationaler werden.
Sie haben einen stark interkulturell geprägten Blick auf die verschiedenen Gestaltungsdisziplinen und waren in vielen Ländern der Welt. Wie haben diese Erfahrungen Ihren Blick auf Studium und Hochschule in Deutschland verändert?
Zuerst einmal, andere Länder haben auch sehr kluge Töchter und Söhne ;-), dann für das Design auch, dass die deutsche Designausbildung in Ländern wie Indien und China deren Auffassung von Designlehre geprägt hat. Wir sind uns gar nicht im Klaren darüber, wie das Bauhaus, die Ulmer Hochschule für Gestaltung, aber auch die Kunsthochschulen in der ehemaligen DDR durch ihr sehr methodisches und strategisches Designverständnis die Designausbildung weltweit beeinflusst haben, mehr als jedes andere europäische Land. Dann auch, Studium ist in allen diesen Ländern ein enorm privilegiertes und teures Unterfangen, daher sind die Studierenden sehr fleißig, extrem ehrgeizig und viel disziplinierter als bei uns. Man bekommt sehr viel Dank für die eigene Lehre und das eigene Engagement zurück. Dieses Privileg hier in Deutschland, mit geringer finanzieller Aufwendung eine exzellente Ausbildung zu bekommen, versuche ich unseren Studierenden immer wieder klar zu machen. Auch das Privileg, sich absolut frei entfalten zu können, ohne gesellschaftliche oder soziale Restriktionen wie in Indien oder China und auch in Ägypten. Trotz der teilweise kritischen Sicht von mir auf diese Systeme, diese Länder und auch ihre Hochschulen entwickeln sich in einem unvorstellbaren Tempo und wenn wir weiter so vor uns herarbeiten, sind wir in 20 Jahren weg vom Fenster in vielen Bereichen. Aber insgesamt hat es mich sehr dafür sensibilisiert, wie postkolonial unser Denken noch ist und wie arrogant wir auch oft sind und wie wichtig es ist, immer wieder über Diversity zu reden und sich darüber zu verständigen. Andere Kulturen haben andere Werte, Traditionen und eben auch Strategien und nicht immer sind am Ende unsere wirklich die besten. Diese Erfahrungen haben mich sehr viel stärker fokussieren lassen, was wichtig ist und wie nachhaltig Wissensvermittlung und Lehre sein muss. Definitiv habe ich dadurch mehr Mut zur Lücke und zum Experiment bekommen.
Gibt es etwas, dass Sie Ihren Studierenden mitgeben möchten?
Um jeden Preis neugierig, offen und kritisch zu sein, sich selbst gegenüber und dem, was als unumstößliches Wissen vermittelt wird. Und sich vor allem Methoden anzueignen, mit denen ich immerzu neues Wissen generieren und bewerten als auch anwenden kann. So oft wie möglich raus aus der Komfortzone zu gehen und etwas zu wagen. Das alles ist sehr viel wichtiger, als irgendwas auswendig zu pauken. Aber vor allem um keinen Preis der Welt etwas Dozent*innen nur recht machen zu wollen.
Katrin Hinz - Professorin der ersten Stunde der HTW Berlin
Prof. Katrin Hinz wurde 1994 berufen und war Gründungsprofessorin im Studiengang Kommunikationsdesign. Ihre Schwerpunkte: Visuelle Gestaltung, Universal Design - Inklusives Design, Package Design, Designmanagement, Informationsdesign sowie Ausstellungs- und Museumsgestaltung. In diesem Zusammenhang hat sie auch das Kompetenzfeld Universal Design Thinking entwickelt. 2011 hat Katrin Hinz den Studiengang Industrial Design mit den Schwerpunkten Universal Design und Sustainability ins Leben gerufen, das Curriculum konzipiert und als Professorin den Studiengang kommissarisch in der ersten Phase geleitet und war in die Gründung verschiedener anderer Studiengänge der Hochschule involviert. Zudem arbeitete sie an der Entwicklung des Masterstudiengangs für Universal Design am National Institut of Design in Indien (NID) mit, baute ein Museum in Äthiopien mit auf und lehrte oft in Indien, Ägypten, China und anderen Ländern. Neben der Lehre engagierte sie sich immer in der angewandten, interkulturell und interdisziplinär ausgerichteten Forschung. Sie hat den Fachbereich Kultur und Gestaltung über einen Zeitraum von drei Amtsperioden als Dekanin maßgeblich geprägt und weiterentwickelt. Als Vizepräsidentin 2002 bis 2004 setzte sie sich für den Campus Wilhelminenhof ein, prägte maßgeblich die Zusammenführung der fünf Standorte auf die beiden aktuell existierenden Campi. Seit April 2022 ist sie im Ruhestand, engagiert sich jedoch weiterhin maßgeblich unter anderem als Gründungsdekanin für den 2019 gegründeten Designbereich an der German International University of Applied Sciences (GIU) in Kairo und gibt internationale Workshops in Indien und China.
Die Fragen stellte Anja Schuster, Team Kommunikation
Fotos: HTW Berlin/Alexander Rentsch, Nijoo Dubey, Christine Lippert, Bianca Koczan
Berlin, 22. August 2022