Den Blackout spielerisch in der Schule erleben
Darf man aus einem gefährlichen Szenario wie dem Stromausfall in Treptow-Köpenick, bei dem 2019 Krankenhäuser in den Krisenmodus gingen, Straßenbahnen stehen blieben, Heizungen kalt wurden, Telefone verstummten und Abwasser mit Notstromaggregaten abgepumpt werden musste, ein Unterhaltungsspiel machen? Man sollte sogar, fanden Kommunikationsdesign-Studentinnen der HTW Berlin. Ein Spiel sei der beste Weg, das Thema in Schulen zu bringen und schon Kinder und Jugendliche auf Katastrophenszenarien vorzubereiten. Von der Berliner Feuerwehr und der Senatsverwaltung gab es für diese Idee großes Lob. Denn sie wissen aus Erfahrung: Wenn Menschen besonnen handeln, können sich die Profis auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. Die studentischen Konzepte entstanden im Rahmen des Forschungsprojekts „Plan#B“ von Prof. Daniela Hensel und ihrem wissenschaftlichen Mitarbeiter Felix Kapolka. Bis Ende 2022 beschäftigen sich dabei zahlreiche Akteur_innen der sicherheitsrelevanten Infrastruktur in Berlin mit der Frage, wie Krisenkommunikation bei einem Stromausfall gelingen kann. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
Ein Projekt mit vielen Partnern
Damit kein Missverständnis aufkommt: Spiele helfen nicht bei einem Blackout wie jenem von Treptow-Köpenick, von dem die Verantwortlichen sagen, dass er das Potential hatte, sich zu einer Katastrophe zu entwickeln. Bei „Plan#B“ geht es um nichts Geringeres als die „Planung und Demonstration innovativer, vernetzter Sicherheitslösungen am Beispiel Blackout in einer internationalen Metropole und ihrer vielfältigen Bevölkerung“, so der vollständige Titel des Projekts. Involviert sind unzählige Partner, von der BVG über Polizei, Feuerwehr, Wasserbetriebe und Deutschem Roten Kreuz bis zum Sender rbb und der Staatsbibliothek, um nur einige zu nennen.
In Krisen ist Kommunikation besonders wichtig
Doch bei Katastrophen kommt es eben nicht nur auf die Profis an, sondern auch auf die Bevölkerung. Vermögen sich die Menschen gegenseitig zu helfen? Kennen sie die Kanäle, über die sie sich rund um die Uhr selbstständig informieren können? Sind sie in der Lage, die Informationen zu verstehen? Kommunikation ist ein elementarer Faktor in Krisen, weiß man aus der zivilen Sicherheitsforschung. Der richtige Ansatzpunkt für Prof. Daniela Hensel im Studiengang Kommunikationsdesign. Als Expertin für Service Design hat sie sich schon in mehreren Projekten damit beschäftigt, Dienstleistungen und Prozesse aus der Perspektive der Nutzer_innen erst zu analysieren und dann zu verbessern. „Ich freue mich, dass dieser Aspekt in das Projekt integriert wird“, sagte sie beim Auftakttreffen aller Beteiligten. Das sei beileibe nicht immer der Fall.
Recherchen und Interviews zum Auftakt
Was am Ende des im Rahmen der Lehre stattfindenden studentischen Hauptprojekts “Blackout – wenn plötzlich nichts mehr geht" herauskam, war zu Beginn völlig offen, erzählt Prof. Hensel. Die zwölf Studentinnen – allesamt Frauen - hatten nach intensiver Recherche zum Thema erst einmal mit Bürger_innen in Treptow-Köpenick gesprochen und mit Schüler_innen des Oberstufenzentrums I Barnim. Das erfreuliche Fazit: Alt und Jung hält es für selbstverständlich, im Katastrophenfall Nachbarschaftshilfe zu leisten. Allerdings wissen viele nicht so recht, wie. Und vor allem Schüler_innen waren jene Apps, über die Behörden im Krisenfall aktuelle Meldungen senden, also „NINA“ und „KATWARN“, schlicht unbekannt.
Spiele machen am meisten Spaß
Dieses Informationsdefizit sollte behoben werden, fanden die Studentinnen, und zwar so, dass es bei der Zielgruppe ankommt. Man entschied sich deshalb für Spiele, weil Schüler_innen gerne spielen und Lehrer_innen froh sind über nützlichen Input für Projekttage oder gar Freistunden. Drei HTW-Teams machten sich an die Arbeit und präsentierten am Ende des Semesters ihre Konzepte.
Das Brettspiel "Help me out"
Da wäre das Brettspiel „Help me out“ von Annabelle, Friderike, Magdalena und Viviane, bei dem der Klassenraum abgedunkelt wird, die Schüler_innen ihr Handy abgeben und der Lehrer/die Lehrerin zum Stadtoberhaupt wird. In einer Doppelstunde gilt es, realistische Aufgaben zu lösen, Tauschgeschäfte abzuwickeln, möglichst viele Coins zu bekommen und zum Helden/zur Heldin der Nachbarschaft zu werden. Der Prototyp des Spiels ist weit gediehen, es gibt sogar schon Spielfiguren und eine schöne Spielbox. „Fantastisch, dass die Solidarität im Mittelpunkt steht“, lobte Helga Jäckel von der Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport. Denn eine funktionierende Nachbarschaftshilfe würde Einsatzkräfte entlasten.
Das Online-Simulationsspiel „Blackout Go“
Oder das Online-Simulationsspiel „Blackout Go“ von Anastasia, Sang-ae und Mani, das auf Handies oder Tablets gespielt werden kann. Die Schüler_innen erleben den Stromausfall in Gestalt der 16-jährigen Hauptfigur, die Entscheidungen treffen, auf die Folgen reagieren und so schnell wie möglich ans Ziel kommen muss. Auch Quizfragen gehören dazu: „Wie wärmt man Essen ohne einen funktionierenden Herd? Für besondere Spannung sorgt die begrenzte Ladekapazität des Akku; wer zu langsam agiert, hat verloren. Das Spiel ist mit den Apps "NINA" und "KATWARN" gekoppelt, der Lehrer/die Lehrerin verteilt außerdem Materialien. „Der digitale Ansatz ist super, lobte Alexander Nottbeck von der Berliner Feuerwehr, „weil für junge Leute besonders niedrigschwellig“.
Das Planspiel „Vallah Krise“
Last but not least: das Planspiel „Vallah Krise“ von Finne, Jamila, Nina, Louisa, Vivien und Lilika. Es kommt im Notfallkoffer daher und spielt in Krisenhausen. Ereigniskarten führen durch das Spiel, also den Stromausfall, es gilt, Ressourcen wie Wasser, Lebensmittel und Benzin zu tauschen und diese werden im Spielverlauf immer knapper. Am Ende des Spiels wird bei einer AfterParty gefeiert, dass der Strom wieder da ist, man spricht aber auch darüber, was gut gelaufen ist bzw. was man besser machen sollte. „Das Spiel hat großes Potenzial“, fand Sabina Kaczmarek von der Berliner Feuerwehr.
Ideen sammeln in der ersten Phase des Wettbewerbs
Auf großes Potenzial kommt es an im Forschungsprojekt „Plan#B“. Mit ihren Konzepten, Ansätzen und Vorschlägen befinden sich die Berliner Akteur_innen nämlich in der ersten Phase des Wettbewerbs „SifoLIFE“, den das Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgeschrieben hat. Er will Kommunen die Möglichkeit eröffnen, neue Ansätze und Lösungen zu testen, die für größere Sicherheit sorgen. Berlin hat dabei unter anderem Konkurrenz aus Dortmund, Freiburg, Köln, Siegen, Ludwigsburg und Hamburg.
Strategiekonzept für die zweite Phase
Die HTW Berlin steuert nicht nur Spielkonzepte bei. Prof. Hensel und Felix Kapolka erkunden in qualitativen Interviews auch die Perspektive der Bevölkerung auf Katastrophen und bringen diese Sichtweise unter anderem in Workshops ein, welche die beiden selbst konzipieren und moderieren. Dabei sitzen alle Projektpartner_innen an einem Tisch - was sie gewöhnlich nicht tun. Mit Hilfe von gemeinsam entwickelten Szenarien will man so essentielle Schwachpunkte identifizieren, für die noch Lösungen entwickelt werden müssen. „Eine Methode, die bislang nicht angewendet wurde“, sagt Prof. Hensel.Bis November 2022 werden alle Städte ihr Strategiekonzept eingereicht haben. Dann fällt die Entscheidung, welche Vorhaben weitergefördert werden. Vielleicht wird in allen Schulen in einigen Jahren ein Spiel gespielt, das von HTW-Studentinnen erdacht wurde?!