Warmes Licht und dann ein kühles Bier

Wussten Sie, dass noch in den 1940er Jahren ein Beobachtungsposten auf dem Dach des Umspannwerks in der Sellerstraße darüber entschied, wann es in Berliner Straßen Licht ward? Und dass der Prenzlauer „Berg“ aufgrund seiner Hanglage prädestiniert war für die kühle Lagerung von frischem Bier, weshalb es dort um 1900 mehr als ein Dutzend Brauereien gab? Wenn nicht, sollten Sie sich demnächst in den Sattel schwingen und der ersten Radroute des Berliner Zentrum Industriekultur folgen. Auf 25 Kilometer führt sie in etwa zweieinhalb Stunden Fahrzeit zu beinahe 20 Orten, an denen in Berlin Industriegeschichte geschrieben wurde. Die Tour trägt den Namen „Warmes Licht und kühles Bier“. „Den fanden wir alle passend“, sagt Projektkoordinatorin Antje Boshold.

Harte Arbeit machte durstig

Man kann dem fünfköpfigen Radrouten-Team nur zustimmen. Das warme Licht produzierte die ab 1880 entstehende Elektroindustrie, die mit bedeutenden Unternehmen wie Siemens & Halske und AEG verbunden ist sowie mit den Namen großer Architekten wie Peter Behrens, Hans Heinrich Müller und Franz Schwechten. Das kühle Bier produzierten zahllose Brauereien, von denen oft nur der Name geblieben ist, beispielsweise der Pfefferberg oder die heutige KulturBrauerei. Licht und Bier gehörten seinerzeit durchaus zusammen. „Harte Arbeit macht durstig“, heißt es in dem ansprechend gemachten Tourenflyer. Weshalb während der industriellen Revolution nicht nur neue Fabriken und Arbeiterquartiere entstanden, sondern auch viele Brauereien, um den Durst der ständig wachsenden Großstadt zu stillen.

Berliner Industriekultur ist anders als im Ruhrgebiet

Wer radelt, schaut und zwischendurch nachliest, dem geht allmählich selbst ein Licht auf. Die Industrie hat ihre Spuren überall hinterlassen, in dicht bewohnten Quartieren, neben Parks, an der Spree und unter der Erde. Diese Verwobenheit von industriellen und stadträumlichen Infrastrukturen ist geradezu das Merkmal der Berliner Industriekultur und unterscheidet sie vom Ruhrgebiet mit seinen deutlichen Trennungen von Zechen und Hütten, von Arbeitersiedlungen hier und Villen der Fabrikbesitzer dort, erklärt Prof. Joseph Hoppe, der das Projekt der Berliner Radtouren initiiert und an der Konzeption mitgearbeitet hat.

Aus den Hinterhöfen raus in die ganze Stadt

Die Berliner Elektroindustrie entstand in Hinterhofwerkstätten und breitete sich allmählich über die ganze Stadt aus; in ihrem Schlepptau die dazugehörige Infrastruktur, sprich: Energie, Beleuchtung, Verkehr und Kommunikationsmedien. War eine Produktionsstätte zu klein geworden, zog man weiter. So geschehen in der Ackerstraße im Wedding, wo die AEG in der immer noch prachtvoll anzusehenden ehemaligen Apparatefabrik zunächst Haushaltsgeräte und elektrotechnisches Material produzierte, ehe sie Teile des benachbarten Schlachthofgeländes aufkaufte und Peter Behrens mit dem Bau einer nicht minder imposanten Fabrikstadt beauftragte. Die Architektur hielt mit der Entwicklung nur zu gerne Schritt: Der Historismus mit seinen verspielten Elementen wich der neuen Sachlichkeit. Heute stehen die Bauten allesamt unter Denkmalschutz.

Auf Radwegen oder ruhigen Nebenstraßen

Sage und schreibe 19 wunderbare Beispiele für diese Industriekultur reiht die Route „Warmes Licht und kühles Bier“ aneinander. „Auf Radwegen, ruhigen Nebenstraßen oder Uferwegen“, wird Antje Boshold, Stadtplanerin und selbst begeisterte Radfahrerin, nicht müde zu betonen. Das Team habe die Strecke selbst mehrfach abgefahren und nicht nur akribisch recherchiert, sondern auch auf Fahrradtauglichkeit geachtet. Im Zweifelsfall habe man lieber ein Kulturdenkmal links liegen gelassen als Radler_innen auf Abwege zu lotsen.

Die Stadt neu entdecken, abseits der City

Man kann die Tour also guten Gewissens empfehlen, und zwar sowohl Berliner_innen, die ihre Stadt aus einer neuen Perspektive entdecken wollen, als auch Tourist_innen, die (noch) mehr sehen wollen als das Brandenburger Tor und Reste der Mauer. Letzteres freut auch die Berliner Tourismusbranche. „Wir wollen unsere Gäste, aber auch die Berliner_innen inspirieren, Orte zu entdecken, die sie noch nicht kennen, auch jenseits der City“, sagt Christian Tänzler, Pressesprecher von visitBerlin.

Ein Rundkurs mit beliebigem Startpunkt

Start und Ende der Tour „Warmes Licht und kühles Bier“ ist das Deutsche Technikmuseum. Man kann den Rundkurs aber auch an vielen anderen U- und S-Bahnhöfen entlang der Strecke beginnen, am Hauptbahnhof genauso wie am S-Bahnhof Schönhauser Allee oder am U-Bahnhof Südstern. Wer eine Pause braucht, findet im Flyer Tipps für Gaststätten und Cafés, selbstredend in historischen Gebäuden der Industriekultur. Und die servieren definitiv nicht nur kühles Bier.

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