Mehr Mut für innovative und nachhaltige Arbeitsformen

Zu sagen, dass ihr die Pandemie gelegen kam, wäre falsch. Doch weil das Themenfeld Workspace Management ihr Fach- und Forschungsgebiet ist, hat Prof. Dr. Katja Ninnemann den Stier gewissermaßen bei den Hörnern gepackt und die Fragestellung „Working from home?“ zum Gegenstand einer Lehrveranstaltung im 6. Semester Facility Management (FB 2) gemacht. In einer hochschulweiten Befragung sowie in Einzelinterviews, die Studierende durchführten, gaben Professor_innen und Mitarbeiter_innen der HTW Berlin Auskunft darüber, wie ihre Arbeitsplatzgestaltung im Homeoffice und an der HTW Berlin aussieht, wie sie diese bewerten und wie sie nach der Pandemie weiterarbeiten möchten. Den Abschlussbericht und die Ergebnisse der Umfrage will die Wissenschaftlerin im Laufe des Märzes hochschulöffentlich zugänglich machen. Im Interview berichtet sie vorab von den Ergebnissen.

Wie kam es zu der hochschulweiten Online-Befragung?

Prof. Dr. Ninnemann: Die Idee kam mir, als ich die Homestory auf der HTW-Webseite sah, bei der Hochschulmitglieder Einblick in ihr Homeoffice gewährten und erzählten, wie es ihnen dort geht. Diese Offenheit gefiel mir und ich wollte mehr herausfinden. Denn nicht nur in Corona-Zeiten stehen die Themen „New Work“ bzw. „Workplace Design“, um zwei Schlagworte zu nennen, ganz weit oben in der Debatte - sowohl in der Facility Management-Branche als auch im Human Resource Management. Diesen Diskurs möchte ich als Wissenschaftlerin in den nächsten Jahren vorantreiben. 

Wie groß war die Beteiligung?

An unserer Online-Umfrage nahmen 158 Beschäftigte der HTW Berlin teil, davon haben 133 alle Fragen beantwortet. Ein wenig mehr Feedback wäre schön gewesen, da das Thema ja jede_n persönlich betrifft. Die Statusgruppen Professor_innen und Beschäftigte der Verwaltung wie auch die Campus Standorte waren aber fast gleichwertig vertreten und die Altersgruppen recht ausgeglichen. Frauen waren überrepräsentiert. Womöglich spricht sie das Thema Homeoffice stärker an? Darüber kann man nur spekulieren. Als wahre Fundgrube entpuppten sich die freien Kommentarfelder. Diese Hinweise waren wirklich aufschlussreich. 

Können Sie schon von ersten Ergebnissen berichten?

Zunächst einmal wurde deutlich, wie unterschiedlich die Bedürfnisse sind. Das Spektrum der Antworten reicht von „Ich bin total happy im Homeoffice und möchte dort bleiben“ bis zu „Am liebsten würde ich in einem offenen Büro mit Blickkontakt zu und ständigem Austausch mit Kolleg_innen arbeiten“. Unter dem Strich äußerten 67 Prozent der HTW`ler den Wunsch, künftig zwei bis drei Tage im Homeoffice arbeiten zu können. Die Anzahl der Wunschtage entspricht auch den Erkenntnissen bei anderen aktuellen Studien.

Interessant fand ich die hohe Anzahl von Einzel- bzw. Doppelbüros an der HTW Berlin. Mehr als 80 Prozent der Befragten arbeiten in Nicht-Pandemiezeiten alleine oder zu zweit. Da stellt sich die Frage, ob wir uns das bei hybriden Arbeitsformen noch leisten können in Zeiten, in denen sich auch Hochschulen sich darum bemühen, ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern.

Bewegt hat mich noch ein anderer Punkt: Die Arbeit im Homeoffice lässt soziale Unterschiede deutlicher hervortreten. Zwar ist der Anteil der Befragten mit einem eigenen Arbeitszimmer relativ hoch (44 Prozent). Doch bei 40 Prozent stand/steht der Schreibtisch in einem Zimmer mit Mehrfachnutzung, wie im Gäste-, Wohn- oder Schlafzimmer. Zehn Prozent hatten gar keinen festen Arbeitsplatz in der Wohnung, können also die Tür weder hinter sich schließen noch Arbeit einfach mal liegen lassen. Für sie ist es besonders schwer, Privates und Job voneinander zu trennen. 

In welche Richtung wird die Reise gehen?

Wir brauchen Konzepte bzw. Prozesse für innovative und nachhaltige Arbeitsformen , also die kluge Verknüpfung von Homeoffice und Büro bzw. Bedarfen und Angeboten. Darin steckt enorm viel Potenzial, wenn wir an den Klimaschutz denken und unsere Verantwortung für die Nutzung von Flächen und den Umgang mit Ressourcen. Diese Konzepte zu entwickeln, ist allerdings nicht trivial. Denn es geht nicht nur um Flächeneffizienz, also um räumliche Veränderungen, die man bei einem Architekturbüro „einkaufen“ kann. Es geht insbesondere auch um strategische Prozesse; man muss organisationale, technische, rechtliche, soziale und kulturelle Aspekte mitdenken wie auch ökonomische und ökologische. Diese Multiperspektivität ist anspruchsvoll und es gibt derzeit noch wenig Qualifikation in diesem Bereich. Da haben wir einen großen Nachholbedarf. Fest steht, dass man etablierte „Fachsilos“ verlassen muss, um neue Konzepte und Prozesse kreieren zu können.

Des Weiteren bedarf es mehr empirisch fundierter Erkenntnisse, um innovative und nachhaltige Entwicklungen vorantreiben zu können. Das ist übrigens auch Tenor der Diskussion im Zentralen Immobilienausschuss Deutschland (ZIA), welche ich derzeit aktiv begleite.

Hinzu kommt noch etwas Anderes. Mit Räumen sind große Emotionen verbunden, sie stehen bekanntermaßen auch für Bedeutung und Wertschätzung. Ein Beispiel: Die Frage, ob Professor_innen ein Einzelbüro benötigen, würde ein_e Workplace-Manager_in aus der Perspektive der Flächeneffizienz mit einem „Nein“ beantworten und auf eine Lehrverpflichtung von 18 Semesterwochenstunden verweisen, auf die Mitarbeit in Gremien und auf Außentermine. Wozu also ein eigener Raum? Doch rein rechnerisch kann man natürlich nicht an die Sache herangehen. Und genau diese Aushandlungsprozesse zur Ausbalancierung von Bedarfen und Angeboten sind eine große Herausforderung und Verantwortung. Wer ein attraktiver Arbeitgeber werden bzw. bleiben möchte, muss sehr behutsam vorgehen und die Beschäftigten mitnehmen.

Was folgt daraus für den gewünschten Zentralcampus?

Einer der Befragten schrieb: „Die HTW sollte sich neuen Arbeitsformen gegenüber offener verhalten und sich etwas Neues trauen“. Mein Traum wäre das offen gestanden auch. Schöneweide ist ein Innovationsstandort und die Hochschule könnte sich dort profilieren. Wir sollten nicht nur räumlichen Ersatz für die Gebäude auf dem Campus Treskowallee schaffen, sondern über möglichst viele und neue Formen der Mehrfachnutzung nachdenken, die soziale Interaktionen und flexible Nutzungsmöglichkeiten unterstützen. Auch das ist eine Form von Sustainability. Dafür haben wir als Hochschule Verantwortung. Wir hätten jetzt die Chance, den Worten Taten folgen zu lassen, zum Beispiel indem wir unseren Campus als ein Reallabor verstehen und mit dem Raum zum Entwickeln, Experimentieren und Erforschen aktiver Teil gesellschaftlicher Veränderungen werden.

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