Mode für alle

Weil modische Kleidung für Menschen mit Handicap noch immer selten ist, ergriffen Studierende des Studiengangs Bekleidungstechnik/Konfektion an der HTW Berlin selbst die Initiative: Im Projekt „Smarte Bekleidung für Menschen mit Behinderung“ entwickelten sie Kleidungsstücke sowie Hilfsmittel, die nicht nur passen, sondern auch modisch sind, für Models mit körperlicher Beeinträchtigung. Wir haben mit drei von ihnen darüber gesprochen, wie wichtig ihnen Mode ist und welche Probleme sie im Alltag beim Kleidungskauf haben. Die Lehrbeauftragte Dr. Yanina Urusova hat das Projekt betreut.

Aidin Chaichi: „Mein großer Traum ist, im Modebereich zu arbeiten“

Aidin

„Modische Kleidung ist für mich sehr wichtig, auch für meine Instagram-Fotos auf meinem Account @aidin2afm, bei dem ich aktuell 242 Tausend Follower habe. Die Bilder dort zeigen mich vor und nach meinem Unfall vor vier Jahren. Ich komme aus dem Iran und war früher Model. Ich habe mit großen Labels gearbeitet und bin in Musikvideos aufgetreten. Vor vier Jahren war ich in einen Autounfall verwickelt und sitze seitdem im Rollstuhl. Seit etwa einem Jahr bin ich in Deutschland. Für mich sollte Kleidung zwar schick und modisch sein und ich trage gerne Designer-Kleidung. Diese kombiniere ich aber auch gerne mit Stücken von günstigeren Anbietern. Manchmal ist es für mich schwer Kleidung zu finden, zum Beispiel einen Anzug für besondere Anlässe oder ein extravaganteres Party-Outfit. Wer im Rollstuhl sitzt, braucht zum Beispiel längere Hosenbeine, da diese beim Sitzen schnell hochrutschen. Außerdem wäre eine Anzieh-Hilfe gut. Die Studierenden der HTW Berlin haben meine Probleme sofort verstanden; die Zusammenarbeit war sehr angenehm. Mein großer Traum für die Zukunft wäre, im Modebereich zu arbeiten. Ich würde zum Beispiel gerne Modedesigner werden und in dem Bereich eine Ausbildung oder ein Studium absolvieren. Eine Mappe mit Designproben habe ich schon erstellt. Meine Kleidung soll für alle Menschen sein, für Menschen mit und ohne Behinderung.“ 

Ksenia Liutova: „Mode sollte für alle Menschen zugänglich sein“

Ksenia

„Über das Projekt ‚Smarte Bekleidung für Menschen mit Behinderung‘ freue ich mich sehr. Ich hoffe, dieses Projekt ist ein Impuls und dass sich das Thema weiterentwickelt. Mode sollte für alle Menschen zugänglich sein. Modische Kleidung ist für mich ein wichtiger Teil meines Lebens. Einkaufen gehe ich meistens in große Kaufhäuser, aber es ist oft schwer, passende Bekleidung zu finden. Ich würde meinen Stil als klassisch schön bezeichnen, aber es darf auch etwas sexy sein. Kleidungsstücke sollten die guten Seiten zur Geltung bringen, aber ich möchte auch, dass die Seiten, die ich nicht so in den Vordergrund setzen möchte, kaschiert werden. Im Alter von fünf Jahren bin ich unter einen Zug gekommen; mein rechter Arm und mein rechtes Bein wurden amputiert. Momentan trage ich keine Prothese und benutze eine Krücke. Durch die Krücke reißt der Stoff unter meinem Arm schnell ein, denn häufig ist das Material nicht so stark. Die Krücke reibt zudem an der Hose, wodurch diese sich ebenfalls stärker abnutzt. Das leere Hosenbein ist eher ein ästhetisches Problem und ich lasse es lieber kürzen. Auch das ist allerdings schwierig, denn es wird immer seltener, dass Geschäfte Schneiderarbeiten anbieten. Die Zusammenarbeit mit den Studierenden der HTW Berlin war sehr schön. Ich war mit einer Projekt-Teilnehmerin zusammen einkaufen und sie hat sich Notizen zu meinen Wünschen gemacht. Die Studierenden sind in ihren Entwürfen zum Beispiel darauf eingegangen, dass ich stärkere Stoffe brauche, die mehr aushalten. Sie haben mir außerdem eine Hose entworfen, die ich auch ohne Prothese tragen kann.“ 

Willi Struwe: „Die Arbeitshose steht mir jetzt besser“

Willi

„Für mich ist es schwierig, passende Hosen zu finden. Wegen der Prothese sind meine Beine unterschiedlich dick. Gerade bei enger geschnittenen Hosen sieht das komisch aus. Die Studierenden im Projekt ‚Smarte Bekleidung für Menschen mit Behinderung‘ haben für mich einen Überzug für den Prothesenschaft entwickelt. Es ist sozusagen ein Accessoire, das die Prothese breiter macht und die Ungleichheit in der Größe überbrückt, ohne die Prothese schwerer zu machen. Außerdem haben die Studierenden für mich eine Hose entworfen, die unten einen Reißverschluss besitzt. Dadurch kann man den Hosenbund am Ende weiten. Es ist ähnlich wie mit den Knöpfen an Hemdärmeln. Weil der Prothesen-Fuß immer im gleichen Winkel bleibt, ist es häufig schwierig, eine Hose überzustreifen. Durch diesen Mechanismus ist das deutlich einfacher. Die Zusammenarbeit mit den Studierenden war großartig. Wir haben uns zusammengesetzt und gemeinsam die Probleme identifiziert, bei denen sie mich unterstützen können. Danach haben wir regelmäßig Anproben gemacht. Mit meiner Orthopädie-Technikerin haben die Studierenden besprochen, was man beachten muss, wenn man etwas für die Prothese anfertigt. Verschiedene Details und der Stoff sorgen dafür, dass der Überzug nicht verrutscht. Es wäre eine tolle Sache, wenn es so einen Überzug auch für andere Prothesenträger gäbe. So etwas zu haben, macht viel aus. Meine Behinderung habe ich seit 2013. Ich habe als Rangierer gearbeitet. Dabei steuert man die Lokomotive mit einer Funkfernsteuerung, während man bei ihr steht und zum Beispiel Wagen an- und abhängt. Es war Winter, ich bin vom Rangierbrett abgerutscht und unter den Zug gerutscht. Ich bin auch heute noch Lokführer bei der @deutschebahn. Aber ich rangiere nicht mehr, sondern fahre Züge im Streckendienst im Regionalverkehr um Berlin. Das war schon immer mein Traumberuf, von klein an, und macht mir viel Spaß. Die Arbeitshose steht mir mit dem Überzug jetzt auch besser!“