Keine Angst vor der Erweiterten Wirklichkeit!
Gemeinsame Projekte, Veranstaltungen, Netzwerkarbeit und immer wieder offene Türen, sodass Neugierige auf eigene Faust herausfinden können, was es mit immersiven Technologien auf sich hat und welche Möglichkeiten sie in Studium, Lehre und Forschung eröffnen. Das alles steht auf der Agenda des Immersive Technologies Hub (ITH) an der HTW Berlin, einer fachbereichsübergreifenden Initiative von Akteur*innen aus verschiedenen Studiengängen, Forschungsprojekten und dem Lehrenden-Service-Center. Was immersive Technologien genau sind, wie der Hub allmählich in die Gänge kommt und was man sich vorgenommen hat, erzählt Prof. Pablo Dornhege im Interview. Er ist seit Oktober 2022 Professor für Transmediale Gestaltung im Studiengang Kommunikationsdesign.
Bitte erklären Sie uns immersive Technologien!
Prof. Pablo Dornhege: Das sind digitale Technologien, die Benutzer*innen in eine Umgebung oder Erfahrung eintauchen lassen. Virtual Reality, Augmented Reality und Mixed Reality sind einige Stichworte. Ihre Nutzung eröffnet Perspektiven, die größer sind als der eigentliche Raum, sodass man von einer anderen Dimension umgeben ist. Man spricht oft auch von XR-Technologien, wobei „X“ für Extended steht und „R“ für Reality“ - eine Erweiterte Wirklichkeit also. Aber immersiv meint nicht zwingend digital und nicht unbedingt visuell. Immersive Erlebnisse können auch mit akustischen Signalen entstehen; die Theaterbühne ist, wenn man es genau nimmt, eine der ersten immersiven Technologien.
Warum wurde der Immersive Technologies Hub gegründet?
An der HTW Berlin wird bereits seit Jahren intensiv zu immersiven Technologien geforscht und gearbeitet – insbesondere in den Fachbereichen 4 und 5. Dabei sind zahlreiche innovative Projekte und Initiativen entstanden. Der Immersive Technologies Hub baut auf diesem bestehenden Wissen auf und bietet eine Plattform, um die Aktivitäten sichtbarer zu machen, Synergien zu fördern und interdisziplinäre Kooperationen gezielt zu unterstützen, perspektivisch auch über die Hochschule hinaus.
Inzwischen treffen wir uns alle zwei Woche zum Jour Fixe; meistens sitzen etwa zehn Leute beisammen. Wir suchen nach Anknüpfungspunkten und Schnittstellen, planen Events und entwickeln eine Strategie für die künftige Zusammenarbeit. Von Vorteil ist, dass vor Kurzem auch physisch für uns Platz geschaffen wurde, nämlich in Raum 006 im Erdgeschoss von Gebäude H. Er fungiert nun als Labor, Studio und Showroom gleichzeitig.
Was muss man sich unter dem Hub vorstellen?
Ich würde uns als informelle Arbeitsgemeinschaft formeller Art bezeichnen, die gerade die Grundlagen für ihre Arbeit herstellt. Wir haben den schon erwähnten Raum, eine Webseite und einen Instagram-Kanal. Außerdem erhalten wir Unterstützung durch die Dekanate, die Hochschulleitung, das Lehrenden-Service-Center und werden als Community of Practice durch das Curriculum Innovation Hub begleitet. Aber unsere wichtigste Ressource sind wir selbst, also unser Know-how und unser fachlicher Austausch. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist bei immersiven Technologien vielleicht noch essenzieller als in anderen Bereichen. Man muss grundsätzlich Inhalte, Vermittlungsstrategie, Technologie und Gestaltung zusammendenken. Der ITH bietet einen Raum, in dem Informatik, Design, Kulturwissenschaften und Ingenieurwesen zusammenkommen, um immersive Erfahrungen gemeinsam zu gestalten. Diese interdisziplinäre Herangehensweise ermöglicht es, technologische Entwicklungen mit künstlerischen und wissenschaftlichen Ansätzen zu verbinden und so neue Anwendungsfelder zu erschließen.
Welche Ziele verfolgen Sie?
Wir werden nicht dafür sorgen, dass alle Hochschulmitglieder in fünf Jahren mit einer VR-Brille durch die Gegend laufen. Aber wir wissen inzwischen, dass XR-Technologien keine Modeerscheinung waren. Sie werden bleiben, weil sie ihren Mehrwert in vielen Bereichen bewiesen haben, beispielsweise in der Industrie, in der Kultur und in der Bildung. Das wollen wir hochschulweit vermitteln und die Entwicklung vorantreiben. Das heißt: Es geht darum, viele Gelegenheiten zu schaffen, bei denen man die Möglichkeiten von XR-Technologien besser kennenlernen kann. Das gilt nicht zuletzt - sondern besonders - für unsere Studierenden. Wir müssen sie befähigen, diese Technologien professionell einzusetzen.
Wie kann das gelingen?
Manche Menschen haben Vorbehalte und empfinden ein gewisses Unbehagen gegenüber diesen Technologien, insbesondere aufgrund ihrer potenziell disruptiven Wirkung. Doch meines Erachtens bieten sie große Chancen, die es wert sind, erkundet zu werden. Denn XR-Technologien sind human centered, will sagen: Es geht dabei immer um die Technologie im Kontext des Menschen und seiner Wahrnehmung im Raum. Ohne die menschliche Interaktion passiert nichts, ganz anders als beispielsweise bei einem Fernseher. Der funktioniert völlig ohne unser Zutun. XR-Technologien eröffnen uns - wortwörtlich - neue Räume und neue Möglichkeiten. Diesen Mehrwert muss man selbst erleben. Der beste Weg dorthin ist meines Erachtens ein möglichst niedrigschwelliger Zugang.
Deswegen planen wir ab dem Sommersemester die Türen des ITH (WH H-006) jeden Mittwochvormittag zu öffnen, damit dann jede und jeder hereinspazieren und ausprobieren kann, worauf sie oder er Lust hat. Egal, ob man erste Berührungspunkte mit XR sucht oder bereits eigene Ideen mitbringt – der ITH ist offen für alle. Außerdem wird es eine Veranstaltungsreihe zum Mehrwert von XR-Technologien in verschiedenen Disziplinen geben – wahrscheinlich ein Format unter dem Motto „XR+“, also XR+Art, XR+Culture, XR+Recht, XR+Marketing etc. Die erste Veranstaltung zum Thema XR+Art hat schon in Form eines Werkstattgesprächs mit Friedemann Banz vom Künstler*innenduo Banz & Bowinkel stattgefunden und war ein super Abend!
Kurz und gut: Wir setzen bei unserer Kommunikation auf persönliches Erleben des Mehrwerts von XR-Technologien, auf Gespräche und interessante Veranstaltungen. Mit angebotsorientierter Arbeit und persistenter Freundlichkeit habe ich gute Erfahrungen gemacht.
Haben Sie auch Pläne für die Lehre?
Selbstverständlich. Im Sommersemester führen Prof. Dr. Habakuk Israel und ich gemeinsam mit unseren Studierenden aus dem Projektstudium ein interessantes Experiment durch. Wir laden Kolleg*innen ein, uns Lehrinhalte, Materialien oder ganze Kursinhalte zur Verfügung zu stellen. Aus dieser Sammlung wählen sechs bis acht interdisziplinäre Teams ein Thema aus und entwickeln dazu gemeinsam einen immersiven Lernraum. Wir sind alle sehr gespannt, was dabei herauskommt. Grundsätzlich fangen auch die meisten Studierenden erst einmal bei Null an. Doch binnen kürzester Zeit gehen sie ziemlich souverän mit den Werkzeugen um, beispielsweise mit der 3D-Modellierung oder dem 3D-Druck, aber auch mit Programmiersprachen oder Entwicklungsumgebungen für interaktive Inszenierungen und Computerspiele. Das ist zumindest meine Erfahrung. Natürlich bergen XR-Technologien ein gewisses Frustrationspotenzial. Nicht alles funktioniert gleich so, wie man möchte. Man muss testen, ausprobieren und auch Rückschläge in Kauf nehmen. Mein Rat lautet immer: Bleibt dran.
Bitte werfen Sie einen Blick in die Zukunft!
Wir stehen vor einem Zeitalter räumlicher Informationsdarstellung: Es wird immer mehr Objekte und Räume geben, die mit uns kommunizieren. Digitale Interfaces werden in den Raum projiziert und wir betreten virtuelle Erlebnisräume. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen den traditionellen Disziplinen: Künstlerische Arbeitsweisen aus Film und Theater spielen ebenso eine Rolle wie Methoden aus Informatik und Game-Design. Mit den immersiven Technologien eröffnen sich neue Möglichkeitsräume für Design und Kommunikation. Geschichten erzählen zu können ist dabei eine der wichtigsten Anforderungen.