Nachhaltigkeit: auch für Fleischer ein Thema
Beim Stichwort Nachhaltigkeit denkt man an Energie, Landwirtschaft, vielleicht an Mode, aber wohl kaum an das Fleischerhandwerk. Doch genau diese Branche steht im Fokus des Modellversuchsprojekts der beiden Wirtschaftswissenschaftler_innen Prof. Dr. Julia Schwarzkopf und Prof. Dr. Kai Reinhardt der HTW Berlin. Sie haben es „TRANS-SUSTAIN“ getauft. Noch bis 2021 arbeiten sie im Auftrag des Bundesinstituts für Berufsbildung daran, die Branche für die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen zu sensibilisieren. Im Interview beschreiben sie ihr ungewöhnliches Forschungsfeld und ziehen eine erste Bilanz. Wir haben es im Rahmen der Reihe „Transfer im Fokus“ geführt.
Frage: Warum Nachhaltigkeit ausgerechnet im Fleischerhandwerk?
Prof. Dr. Julia Schwarzkopf: Auf das Thema wurden wir durch die Bachelorarbeit eines Absolventen aufmerksam, der den elterlichen Betrieb übernehmen und voranbringen möchte. Keine kleine Herausforderung, denn das Fleischerhandwerk hat ein massives Nachwuchsproblem und wer dort tätig ist, muss sich permanent dafür rechtfertigen. Besser wäre es doch, vegan zu leben, sagen viele. Stimmt sicher, doch den Verzicht auf Fleisch kann man nicht erzwingen. Letztlich ist es eine gesellschaftliche Frage: Wieviel ist uns dieses Handwerk wert und wieviel die Tatsache, dass dort nachhaltig gearbeitet wird?
Prof. Dr. Kai Reinhardt: Das Imageproblem der Branche und ihr Bewusstsein für Nachhaltigkeit lässt sich unseres Erachtens nur dadurch verändern, dass neue Kompetenzen bei jenen entstehen bzw. entwickelt werden, die das Handwerk tagtäglich ausüben. Zu dieser behutsamen Veränderung, zu diesem Umdenken wollten wir inhaltlich beitragen. Es ist ein spannendes und in der Tat seltenes Forschungsthema.
Was bedeutet Nachhaltigkeit in dieser Branche überhaupt?
Prof. Dr. Julia Schwarzkopf: Da gibt es eine Vielzahl von Themenfeldern. Der Umgang mit Zucht- und Schlachttieren beispielsweise. Wird aus Respekt vor der „Ressource Tier“ alles verwertet oder die Hälfte weggeworfen? Wie sehen die Transportwege aus, wie steht es um die Tierhaltung, welche Preise müssen aufgerufen werden, wenn auch das Wohl der Tiere berücksichtigt wird? Auch soziale Aspekte muss man im Blick haben: Löhne, Arbeitszeiten, Umgangston, Aus- und Weiterbildung, Chancengleichheit.
Wie gehen Sie in dem Modellversuchsprojekt vor?
Prof. Dr. Kai Reinhardt: Wir haben mit einer Branchenanalyse begonnen und viele Expert_innen interviewt, um eine Vorstellung von den Strukturen und den thematischen Herausforderungen zu bekommen. Schnell wurde dabei klar: Ausbildung und Qualifikation der Beteiligten sind tatsächlich ein wichtiges Thema, dessen man sich annehmen muss.
Prof. Dr. Julia Schwarzkopf: Recht langwierig war die Acquise von Partnern aus der Praxis. Wir konzentrieren uns auf die kleinen und mittelständischen Unternehmen, befragen die Auszubildenden in Berufsschulen in Berlin, Brandenburg und Niedersachsen und machen dort regelmäßig Workshops. Die Kolleg_innen der Uni Erfurt befassen sich mit den größeren, industriell geprägten Betrieben.
Am Ende wollen Sie einen sogenannten „transversal angelegten Kompetenzrahmen“ vorlegen. Was ist das?
Prof. Dr. Kai Reinhardt: Sie müssen sich darunter eine Toolbox vorstellen, die parallel zu der von der Handwerkskammer etablierten Ausbildungsordnung für die Qualifikation von Auszubildenden und Ausbilder_innen genutzt werden kann. Transversal heißt sie, weil wir Lernen als einen Prozess verstehen, bei dem Fähigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen und in allen Lebensbereichen ausgebildet werden. Mithilfe unterschiedlicher Lerntools und Materialien wollen wir für das Thema Nachhaltigkeit im Fleischerhandwerk sensibilisieren, zur Auseinandersetzung damit anregen und die Entwicklung einschlägiger Kompetenzen bei den Beteiligten fördern.
Das Projekt "TRANS-SUSTAIN" wird vom Bundesinstitut für Berufsbildung mit Mitteln des Bundesministerium für Bildung und Forschung im Förderprogramm "Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung 2015-2019 gefördert. Es läuft bis April 2021.