Was KI mit Höhlenmalerei zu tun hat: Ein Streifzug durch die Mediengeschichte

Prof. Dr. Carsten Busch ist Professor für Medieninformatik, Medientheorie und Medienwirtschaft und ehemaliger Präsident der HTW Berlin. Er ist Gründer und Leiter der Forschungsgruppe Creative Media und Mitglied im Forschungscluster Forschungszentrum Kultur und Informatik. Vor Kurzem hat er den Beitrag „Mediengeschichtliche Einordnung und Einfluss von KI auf die zukünftige Entwicklung“ im Sammelband „Künstliche Intelligenz und Wir. Stand, Nutzung und Herausforderungen der KI“ des Springer Verlags veröffentlicht. Im Gespräch erklärt er, was die Mediengeschichte zu aktuellen Diskussionen rund um die Herausforderungen und Chancen von KI beitragen kann.

KI ist grundsätzlich ein eher technisches Thema. Warum haben Sie eine mediengeschichtliche Einordnung zu KI verfasst?

Alle modernen Medien basieren ja auf Technik, umgekehrt nutzen Medien verschiedenste Techniken, beispielsweise spätestens seit den 1990er Jahren vernetzte Computer, also das Internet. Bei sehr vielen der aktuell kontrovers diskutierten KI-Technologien und –Beispiele handelt es sich um mediale Anwendungen oder um Fälle von Missbrauch in der Medienkommunikation. Etwa wenn es um manipulierte Videos und Bilder geht, um automatisch generierte Musik oder (Fake) News. Die mediengeschichtliche Perspektive erlaubt einen nüchternen Blick auf diese Phänomene, der meines Erachtens angemessener ist als Alarmismus – und zugleich viel Zeit und Energie spart.

Sie vertreten die These, dass Phänomene wie Fake-News buchstäblich "steinalt" sind. Was hat Höhlenmalerei denn nun mit KI zu tun?

Die älteste wissenschaftlich nachgewiesene Höhlenmalerei von vor ca. 54.000 Jahren, entdeckt auf einer indonesischen Insel, zeigt ein Borstenschwein. Das Bild zeigt große Ähnlichkeit mit heute noch lebenden Borstenschweinen. Die damaligen Künstler*innen hatten hohe Fähigkeiten in Form, Farbe, Proportionen und Bildgestaltung allgemein. Doch gibt es eine offensichtliche Abweichung: Das gemalte Borstenschwein ist im Bauchbereich orange-braun, während die Originale durchgängig schwarzbraun sind. Da an anderen Stellen der Höhlenmalerei viel schwarzbraun verwendet wird, liegt es nicht daran, dass die Farbe fehlte; die Künstler*innen waren sicher auch nicht farbenblind. Also handelt es sich offensichtlich um eine absichtliche Abweichung. Zugespitzt formuliert: das früheste nachweisbare Bild-Fake mit Hilfe von Medientechnik. Natürlich sind Lügen und Gerüchte sogar noch älter und in oralen Kulturen bereits sehr verbreitet gewesen. Aber beim gemalten Borstenschwein wird erstmals ausgefeilte Technik für einen faszinierenden Mix aus Ähnlichkeit und Abweichung verwendet. Das ist vergleichbar mit den Arten von Mix, über die wir bei vielen aktuellen KI-Anwendungen diskutieren.

Was können wir aus der Mediengeschichte für den heutigen Umgang mit KI lernen?

Nicht nur Fälschungen, sondern auch alle möglichen Arten des Missbrauchs auf Kosten anderer, der Manipulation oder Eskapismus und Suchtverhalten, sind seit Jahrtausenden der Mediennutzung bekannt. Ebenso, dass die Mächtigen und die organisierte Kriminalität Medien für ihre Zwecke zu okkupieren versuchen. Die Gegenstrategien kennen wir auch: Transparenz, demokratische Kontrolle, Aktualisierung der Medienkompetenzen für möglichst viele, Sanktionierung und strafrechtliche Verfolgung von Missbrauch. Die meisten dieser Instrumente können auch auf moderne KI-Technologien angewendet werden. Vielleicht müssen sie etwas nachgeschärft werden, aber hauptsächlich haben wir ein Umsetzungsproblem - wie schon seit Jahrzehnten beim Umgang mit Missbrauch bei Computern, Internet und Social Media.

Welche Herausforderungen, vor die uns KI stellt, sind grundlegend neu?

Schon seit der Telegrafie sind Informationen weltweit in Lichtgeschwindigkeit unterwegs. Telefon, Radio, TV, und vor allem die globale Übertragungs-Infrastruktur namens Internet haben das seit ca. 150 Jahren massiv ausgebaut. Insbesondere Bits sind nicht nur extrem schnell, sondern halten sich auch nicht an Grenzen, zum Beispiel von Staaten. Die Besonderheit von KI besteht darin, spätestens seit Alan Turing 1950 seinen berühmten Test veröffentlicht hat, dass sie im Kern auf die Täuschung der menschlichen Wahrnehmung zielt. Turing schrieb, dass Maschinen dann „intelligent“ seien, wenn Menschen nicht mehr unterscheiden könnten, ob sie es mit einem Menschen oder einer Maschine zu tun haben. Inzwischen sind die entwickelten Techniken, aber auch die Rechenpower und die treibenden Akteure und Akteurinnen, so mächtig, dass dies immer besser und schneller gelingt. Der Aufbau von Kontrollstrukturen und Medienkompetenz braucht demgegenüber leider mehr Zeit und Ressourcen, die derzeit kaum ein Staat aufbringen möchte. 

Wie können wir der Täuschung menschlicher Wahrnehmung begegnen?

a) Medienkompetenz, Medienkompetenz, Medienkompetenz, inklusive KI-Kompetenz: nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern vor allem für Eltern, Lehrer*innen, staatliche Akteure und Akteurinnen sowie Strafverfolgungsbehörden

b) Bestehende Gesetze und Regelungen, insbesondere zum Schutz von Persönlichkeitsrechten und Schwächeren, endlich anwenden und Umsetzungskapazitäten aufbauen.

c) Geschwindigkeit, Geschwindigkeit, Geschwindigkeit – und bitte keine neuen Formulare.

Sie sprechen Gesetze und Regelungen an. Der AI Act der Europäischen Union wird vielfach kritisiert. Wie ordnen Sie diesen ein?

Sein Hauptvorteil: Er existiert! Außer der EU hat nur noch der US-Staat Tennessee etwas Ähnliches, den „Elvis-Act“, bei dem es aber hauptsächlich um den Schutz vor Fakes von Musik oder Videos mit Inhalten um Elvis Presley herum geht. Der AI Act der EU bildet weltweit einen ersten Handlungsrahmen, und das sogar für den größten globalen Wirtschaftsraum. Natürlich ist er nicht perfekt, hat Lücken, beinhaltet Kompromisse und bestimmt auch überregulierte Elemente. Aber er bildet eine gute Basis für Weiterentwicklung, und die ist ja auch vorgesehen. Wer darüber meckert, will entweder in Wirklichkeit gar keine Regulierung von KI oder sollte etwas konkret Besseres vorschlagen, das in einem Bündnis von 27 Staaten kompromissfähig ist.

Und zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wofür setzen Sie KI am liebsten ein?

In meiner Forschungsgruppe Creative Media forschen wir natürlich zu verschiedenen K-Technologien und -Anwendungen. Für mein Team und mich sind dabei Möglichkeiten des KI-Einsatzes für die Unterstützung von interaktiven Lernszenarien im Fokus.