Welche Stoffe verändern menschliche Zellen?

Sie arbeitet am liebsten mit Brustkrebszellen, die sind gut zu handhaben, wachsen zuverlässig und die Wissenschaft weiß bereits viel darüber. Etwa 10 Millionen dieser Zellen befinden sich in der Zellkulturflasche mit pinkfarbener Nährlösung, die Dr. Josephine Kugler aus dem Brutschrank nimmt. Dort herrscht mit 37 Grad Körpertemperatur, in welcher die Humanzellen besonders gut gedeihen. Das müssen sie auch, denn Dr. Kugler, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Chemikalien- und Produktsicherheit im Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), braucht sehr, sehr viele Zellen für ihre Forschung. Die Biochemikerin will in vitro, also im Reagenzglas, molekulare Werkzeuge entwickeln, mit deren Hilfe Zellveränderungen sichtbar gemacht werden können, die von epigenetisch wirksamen Substanzen ausgelöst werden. „Ein superspannendes Thema“, findet die HTW-Studentin Heidi Frank, die im Rahmen ihres Praktikums im Studiengang Life Science Engineering an der Forschung im BfR mitarbeitet.

Der Forschungsbedarf ist noch groß

Wer noch nie von epigenetischen Effekten gehört hat, sei getröstet. Die Epigenetik ist eine recht junge Disziplin, der Forschungsbedarf noch groß. Krebserkrankungen gehen bspw. mit epigenetischen Veränderungen einher, doch bis heute weiß man nicht genau, welcher Zusammenhang besteht. Umso bedeutsamer die Arbeit von Dr. Kugler und ihrem fünfköpfigen Team, zu dem derzeit zwei technische Angestellte, ein Promovend und regelmäßig auch Studierende des Studiengangs Life Science Engineering gehören.

Im Fokus: die Verpackungsproteine der DNA

Die Epigenetik befasst sich mit der Frage, welche Faktoren die Aktivität eines Gens und damit die Entwicklung der Zelle zeitweilig festlegen. Im Fokus stehen dabei die Verpackung der DNA in der Zelle und damit die „Histone“, die Verpackungsproteine der DNA. Daher „Epi“: Die Vorsilbe kommt aus dem Griechischen, und bedeutet „auf“ oder auch „daneben“.

Bindeglied zwischen Umwelt und Genen

Epigenetische Faktoren haben entscheidenden Einfluss auf die Steuerung verschiedener Genaktivitäten - und damit auf die Entstehung von Krankheiten. Zwei Menschen können das gleiche Krebsgen haben, aber nur einer von ihnen tatsächlich Krebs entwickeln. Die Epigenetik gilt insofern auch als das Bindeglied zwischen Umwelteinflüssen und Genen. Das erklärt die Relevanz der Erkenntnisse für das BfR, einem für den gesundheitlichen Verbraucherschutz in Deutschland zuständigen Intstitut. An drei Berliner Standorten beschäftigt die Bundesbehörde mehr als 1.000 Menschen und betreibt auch eigene Forschung.

Viele Stoffe und Substanzen können Wirkung haben

Epigenetische Veränderungen könnten theoretisch von vielen Stoffen und Substanzen hervorgerufen werden: von Chemikalien in Verpackungen, Textilien, Tabakerzeugnissen und Weichmachern in Spielzeug, um nur einige Beispiele zu nennen. Um die Wirkung nachweisen und konkrete Aussagen treffen zu können, bedarf es freilich präziser Messmethoden wie jener, an deren Entwicklung Dr. Kugler arbeitet.

Erkenntnisse unter dem Mikroskop

„Epigenetische Veränderungen zu messen ist deutlich schwieriger als genetische“, sagt die Biochemikerin. Im Labor imitiert sie den Prozess, den sie eigentlich nachweisen möchte. Sie hat ein natürlich vorkommendes Gen mit einem gut detektierbaren Marker zusammengesetzt und bringt dies in die Zellen ein. Bereits nach sechs Stunden kann im Mikroskop beobachtet werden, wie dieses Markerprotein Bereiche in den Zellen kennzeichnet, in denen die Histone bestimmte Veränderungen aufweisen. Sie ermöglichen so die Sichtbarmachung und damit eine Charakterisierung der epigenetischen Modifikationen. Beobachten kann man die Kennzeichnung durch den Marker allerdings nur für einen kurzen Zeitraum.

Bei der Arbeit mit Zellen ist viel Geduld nötig

Wer lebende Zellen erforscht, muss also die Uhr sehr genau im Blick haben. Und viel Geduld mitbringen. Stunden und Tage verbringt das Team zwischen Brutschrank, Gefrierschrank, Kühlschrank, Mikroskop, Zentrifuge, Wasserbad und der Sterilwerkbank, in der man mit Plastikhandschuhen und einer Plastikscheibe vor der Nase arbeiten muss, damit keine Kontamination in die eine oder andere Richtung stattfindet. Selbst wenn man viel Übung hat und maximale Sorgfalt walten lässt, können Versuche fehlschlagen und erfolglos bleiben.

Erst das Praktikum, dann die Abschlussarbeit

Die Life Science Engineering-Studentin Heidi Frank ist trotzdem hellauf begeistert. Was sie während des Studiums im Hochschullabor bereits kennenlernte, kann sie im dreimonatigen Fachpraktikum im BfR vertiefen. Sie mag die Professionalität, der sie am Standort Jungfernheide begegnet, den kollegialen Umgang und die Hilfsbereitschaft. „Alles, was ich in den Zellen beobachte, kann ich gleich mit Josi besprechen“, freut sie sich. Keine Frage, dass sie sich im Anschluss an das Praktikum auch in ihrer Bachelorarbeit mit Histon-Proteinen beschäftigen und damit einen kleinen Beitrag zur Forschung leisten wird.

Zur Wissenschaft gehört auch Ungewissheit

Dr. Josephine Kugler weiß es zu schätzen. Sie kommt Schritt für Schritt bei der Etablierung des In-vitro-Testsystems voran. Wann und wo es einmal zum Einsatz kommt, darüber zu spekulieren ist noch zu früh. Mit dieser Ungewissheit müssen Wissenschaftler_innen leben und dürfen sich nicht entmutigen lassen. Das ist übrigens auch eine Botschaft, welche die BfR-Wissenschaftlerin dem akademischen Nachwuchs als Lehrbeauftragte im Studiengang Life Science Engineering vermittelt.

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