Von Spielplätzen, Höfen und Konflikten in der Stadt

Am Beispiel eines in die Jahre gekommenen Spielplatzes lässt sich das Problem gut darstellen. Kinder kommen nur noch selten, seitdem die Spielgeräte aus Angst vor Obdachlosen, die gerne über Nacht blieben, abgebaut wurden. Um auch die Drogenszene fern zu halten, umgibt den Spielplatz ein hoher Zaun, auch die benachbarten Bänke wurden abgebaut, die von älteren Menschen gebraucht wurden. Das Ende vom Lied: Der Platz, respektive seine Infrastruktur, kann von niemandem mehr genutzt werden. Ein Jammer für den hoch verdichteten Stadtteil, in dem sich sehr viele Menschen sehr wenige Freiflächen teilen müssen.

Der Platz wird immer knapper

Das Beispiel ist echt und die Rede vom Wrangelkiez in Berlin-Kreuzberg. Das eng bebaute und von vielen Menschen mit unterschiedlicher kultureller Identität bewohnte Quartier gehört zum Untersuchungsgebiet in dem Forschungsprojekt „StadtTeilen“. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Florian Koch (Fachbereich 3) und in Kooperation mit der Uni Kassel sowie der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart beschäftigt sich Nada Bretfeld mit einem städtischen Grundproblem: Wie gehen Menschen mit dem immer knapper werdenden öffentlichem Raum um? Welche Ansätze gibt es, bestimmte Orte gemeinschaftlich zu nutzen, also zu teilen?

Forschung direkt im Kiez

Nada Bretfeld ist passenderweise nicht nur wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Projekt. Als Gemeinwesenarbeiterin im Familien- und Nachbarschaftszentrum „Kiezanker 36“ kennt sich die Master-Absolventin der Alice-Salomon-Hochschule im Wrangelkiez bestens aus und hat einen guten Überblick über die große Zahl von selbstorganisierten Initiativen und Gruppen. Diese zivilgesellschaftliche Ebene steht auch im Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung an der HTW Berlin: Nada Bretfeld und Prof. Dr. Koch forschen in der sogenannten südlichen Luisenstadt, bestehend aus dem Wrangelkiez, dem Reichenberger Kiez inklusive dem Görlitzer Park dazwischen. Ebenfalls unter die Lupe genommen werden zwei weitere Quartiere in Kassel und Stuttgart. Immer geht es darum, wie öffentliche Räume in der unmittelbaren Nachbarschaft genutzt werden, und zwar von einer in sozialer Hinsicht heterogenen Bevölkerung.

Interdisziplinäre Herangehensweise ist nötig

Mit im Boot ist außerdem das Architekturbüro Buzwan Morell Architekten. In dem von der Robert Bosch Stiftung geförderten transdisziplinären Forschungsprojekt „StadtTeilen“ gesellen sich also Stadtforschung und Stadtplanung, Architektur, Kulturwissenschaft und Gemeinwesenarbeit zueinander.

Was kann baulich verändert werden?

So vielschichtig muss man die Materie auch angehen, ist Nada Bretfeld überzeugt. Wo und wie funktioniert das Teilen und welche Voraussetzungen sind unter anderem auf baulicher Ebene nötig, um neue Formen des Teilens im urbanen Raum zu ermöglichen? Im Praxislabor wollen sie in Erfahrung bringen auf welche Ideen die Menschen schon gekommen sind oder wo sie ihren Stadtraum so gestalten wollen, dass er besser gemeinsam genutzt werden kann. „Geteilt“, sprich: mehrfach genutzt werden, könnte so mancher öffentliche Raum: Ein Schulhof könnte auch der Nachbarschaft zur Verfügung stehen, ein Spielplatz am Abend ökologisch gestaltet und für Vereinstreffen genutzt, ein Hinterhof oder ein Durchgang durch modulare bauliche Eingriffe eine neue Aufenthaltsqualität bekommen.

Müll und Hygiene sind große Themen

Dass die gemeinschaftliche Nutzung von Räumen Konflikte mit sich bringt und durchaus Frustpotenzial birgt, dessen ist sich Nada Bretfeld bewusst, „Müll und Hygiene sind natürlich große Themen“, sagt sie. Doch als Mit-Initiatorin von urbanen Gartenprojekten und praxiserprobte Kiezarbeiterin weiß sie auch, dass die Nutzung eines Orts bzw. eines Raums Vorbildcharakter annehmen und dadurch sehr klare Zeichen setzen kann: Hier wird Raum gemeinsam genutzt, gestaltet, gepflegt und erhalten. Wichtig sei es, die unterschiedlichen Bedürfnisse aller Beteiligten im Auge zu behalten, nicht auf gegenseitige Verdrängung zu setzen, sondern darüber nachzudenken, was Menschen brauchen, damit sie sich umsichtig verhalten und Verantwortung übernehmen können.

Intranet für die Nachbarschaft

Mehr als 30 Interviews mit Expert_innen hat das Forschungsteam inzwischen geführt. Einige Audiofiles sind auf der Webseite abrufbar. Auf die Interviews folgt nun eine quantitative Befragung in allen drei Untersuchungsgebieten und die Realisierung des Praxislabors im Wrangelkiez. Dafür waren ursprünglich zahlreiche Begegnungen und Austauschformate mit Anwohner_innen geplant. Pandemiebedingt bekommen nun digitale Formate eine größere Bedeutung. Ein Baustein im Praxislabor ist u.a. eine Art geschütztes Internet nur für die Nachbarschaft. Außerdem werden über eine interaktive Karte gemeinsam mit Nachbar_innen Orte und Räume identifiziert, an denen geteilt wird. Gute Beispiele sollen dort genauso zu finden sein wie Konstellationen, die mit Konflikten verbunden sind.

Neue Impulse geben

Die Wissenschaftler_innen ihrerseits ergänzen um passende, internationale Beispiele, die weitere Impulse geben und das Teilen von öffentlichen Räumen voranbringen. Das Projektteam will unterschiedliche Ansätze für nachbarschaftliche Formen des Teilens dokumentieren, neue Ansätze diskutieren und Visionen aufzeigen.

Räume müssen geteilt werden

Wie wichtig, ja: geradezu existenziell die gemeinschaftliche Nutzung von Straßen, Plätzen und Höfen im Lebensraum Stadt ist, habe gerade die Pandemie deutlich gezeigt, sagt Nada Bretfeld. Nie zuvor waren Menschen so stark darauf angewiesen, das Bedürfnis nach Kommunikation, Spiel und Bewegung in der unmittelbaren Nachbarschaft zu befriedigen. Das Credo der Sozialwissenschaftlerin: Jeder Mensch braucht einen Raum, in den er sich zurückziehen kann. Aber gemeinsam in der Stadt zu leben gehe nur, wenn möglichst viele Räume gemeinschaftlich genutzt, also geteilt werden.

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