„Ohne Städte erreichen wir keine Nachhaltigkeit“

„Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten“. So lautet das elfte der insgesamt 17 Ziele für eine Nachhaltige Entwicklung, auf die sich die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen im Jahr 2015 geeinigt haben. Bekannt sind sie auch als Sustainable Development Goals (SDG). Mit unterschiedlichen Facetten des Themas beschäftigen sich auch Wissenschaftler_innen an der HTW Berlin. Ausgewählte Projekte und Personen stellen wir im Sommersemester in der Reihe „Transfer im Fokus“ vor. Was es konkret bedeutet, Städte nachhaltig zu gestalten, beleuchtet zum Auftakt Prof. Dr. Florian Koch (FB 3).

Welche Bedeutung haben Städte für die Nachhaltigkeitsziele?

Prof. Dr. Koch: Eine große Bedeutung, da ein Großteil der Menschheit in Städten lebt. Oft werden Städte vor allem als Mitverursacher globaler Umweltprobleme wie dem Klimawandel oder dem Verlust der Biodiversität und somit als Teil des Problems gesehen. Diese Sichtweise greift jedoch zu kurz: Wenn es gelingt, die Entwicklung der Städte nachhaltiger zu gestalten,  z.B. durch die Förderung regenerativer Energien, eine effizientere Flächennutzung, neue Baustoffe und alternative Mobilitätskonzepte, dann wäre das ein großer Beitrag zu der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele. Die Stadtentwicklung ist somit ein wichtiger Hebel, um auch global zu einer nachhaltigen Entwicklung zu kommen. Ich kann Ban Ki Moon, dem früheren Generalsekretär der Vereinten Nationen, nur zustimmen: „Our struggle for Global Sustainability will be won or lost in Cities“.

Wo liegen die besonderen Probleme in Städten?

Eine Herausforderung liegt in der Urbanisierungswucht, die in den nächsten Jahrzehnten weltweit und insbesondere in Afrika und Asien zu erwarten ist. Bis zum Jahr 2050 sollen nach Prognosen der Vereinten Nationen 2,5 Milliarden neue Bewohner_innen in Städte ziehen. Hier stellt sich die Frage, wie dieses enorme Wachstum in Einklang mit den natürlichen Ressourcen zu bringen ist. Mit der Agenda 2030 und den 17 Sustainable Development Goals gibt es hierfür einen guten Handlungsrahmen, an dem sich Städte orientieren können. Daran schließt sich eine andere Herausforderung an: Es geht nicht nur darum, was sich verändern muss. Wichtig ist auch das Wie: Wie können Nachhaltigkeitstransformationen demokratisch, transparent und unter Einbezug der Bevölkerung gelingen?

Was muss sich in Städten ändern?

Jede Stadt hat zwar ihre spezifischen Herausforderungen und Handlungsbedürfnisse, aber  drei Punkte finde ich besonders wichtig, da sie verschiedene SDG gleichermaßen adressieren:

  • Prinzipien der Kreislaufwirtschaft anwenden: Die betrifft zunächst einmal den Bau von Gebäuden: Was passiert, wenn ein Gebäude nicht mehr genutzt wird? Welche Möglichkeiten der Umnutzung existieren? Und falls ein Abriss notwendig ist: Wie können die Baumaterialien recycelt und/oder wiederverwendet werden? Ein spannender Ansatz ist der Einsatz von alternativen Baumaterialien wie Holz, da dieser Baustoff wesentlich besser wiederverwendbar ist und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann.
  • Innovativer Umgang mit Flächen: Es steckt großes Potential darin, Flächen nicht wie bisher monofunktional zu nutzen, sondern Mehrfachnutzungen zu ermöglichen. Das zeigt sich gerade in der Corona-Pandemie. Ein Parkplatz, der nach Geschäftsschluss zur Skateboard- und Inliner-Fläche wird, ein leerstehendes Ladenlokal, in dem Kunstausstellungen stattfinden, oder begrünte Dachflächen, die für Urban Gardening genutzt werden und gleichzeitig eine natürliche Klimaanlage darstellen. Auch in Bezug auf Wohnflächen sind Innovationen möglich: Geringere Wohnflächen, die durch große Gemeinschaftsflächen kompensiert werden, flexible Wohnungsgrundrisse, die sich an veränderte Lebensumstände anpassen oder Wohnungstauschbörsen, die einen Beitrag zur sozialen Wohnraumversorgung leisten.
  • Digitalisierung für eine nachhaltige Urbanisierung nutzen: Richtig eingesetzt, können smarte Städte, also Städte mit neuen Technologien, auch nachhaltige Städte sein. Durch Apps können bspw. Ride-Sharing-Angebote erfolgreich eingesetzt und der eigene PKW obsolet werden. Sensorik hilft bei der Erkennung von Umweltbelastungen, auf die man mit Gegenmaßnahmen reagieren kann. Die Erzeugung und der Verbrauch erneuerbarer Energien kann auf Quartiersebene abgestimmt werden. Es gilt, neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Stadtverwaltungen zu entwickeln. Unternehmen erkennen übrigens zunehmend das strategische Potential von Smart Cities.

Welche Städte können Vorbilder sein?

Einige Städte haben bereits Nachhaltigkeitsstrategien erstellt, die sich an den Sustainable Development Goals orientieren. Dies hat den Vorteil, dass nicht nur einzelne erfolgreiche, aber letztlich singuläre Modellprojekte für nachhaltige Stadtentwicklung existieren, sondern versucht wird, alle 17 Ziele vor Ort in einer integrierten Weise umzusetzen. Städte wie Los Angeles, Espoo in Finland, Taipei oder auch Bonn haben freiwillige lokale Berichte erstellt. Sie zeigen transparent und indikatorenbasiert auf, welche Maßnahmen bereits existieren und wo noch Handlungsbedarf besteht.

In Bonn wurde beispielsweise bereits 2015 beschlossen, dass bei der Neuanlage von kommunalen Geldern genau festgelegte Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt werden müssen. Die Stadt hat sich auch verpflichtet, ihre Investments aus Unternehmen der Energieerzeugung aus fossilen Rohstoffen abzuziehen. Andere Maßnahmen sind die planungsrechtliche Sicherung der bestehenden Grün- und Freiflächen im Stadtgebiet und der Bau neuer Fahrradwege. Diese Maßnahmen sind auf den ersten Blick nicht spektakulär, verdeutlichen aber den Ansatz: nachhaltige Stadtentwicklung als ganzheitlichen und langfristigen Prozess zu sehen.

Wie weit ist Berlin in punkto Nachhaltigkeit?

In Berlin gibt es einige interessante Nachhaltigkeitsprojekte z.B. im Bereich des Holzbaus. Auf der ehemaligen Fläche des Flughafen Tegels soll das größtes Holzbauquartier weltweit entstehen, in Kreuzberg das höchste Holzhochhaus Deutschlands. Somit kann Berlin ein Vorreiter im Bereich nachhaltiger Baustoffe werden. Unabhängig von diesen wichtigen Einzelprojekten wäre es aber wichtig, eine Berliner Nachhaltigkeitsstrategie zu erstellen, die sich an den 17 SDG orientiert und über entsprechende Indikatoren verfügt. Dies würde einen umfassenderen Blick auf nachhaltige Stadtentwicklung erlauben. Gerade probieren wir übrigens im Rahmen eines Praxis-Forschungsprojekts mit dem Bezirksamt Treptow-Köpenick einen solchen Ansatz aus.