Coworking ist auch im ländlichen Raum möglich

Dass Corona die Menschen nicht nur temporär ins Homeoffice gezwungen hat, sondern die Arbeitswelt strukturell verändern wird, ist längst unbestritten. „Der Trend zum räumlich flexiblen und virtuellen Arbeiten hat durch die Pandemie enorm an Dynamik gewonnen“, sagt Prof. Dr. Martin Klaffke aus dem Fachbereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften der HTW Berlin. Der Experte für das Thema „Arbeit 4.0“ erkennt darin viele Chancen. Eine mögliche Entwicklung: Arbeit könnte verstärkt in den ländlichen Raum zurückverlagert werden, kleine Städte und Gemeinden attraktiver werden. Das käme auch der Umwelt zugute. Im Interview führt Prof. Dr. Klaffke seine Überlegungen genauer aus.

Bitte skizzieren Sie den aktuellen Erkenntnisstand!

Prof. Dr. Martin Klaffke: Einer repräsentativen Befragung des Branchenverbands Bitkom zufolge arbeitete etwa die Hälfte der Befragten im Corona-Lockdown ganz oder teilweise von Zuhause.  Große Unternehmen rechnen damit, dass Arbeiten im Homeoffice  auch nach der Pandemie Bestand haben wird. Wenn sich jedoch der stationäre Büro-Arbeitsplatz vom Standard zu einer Option entwickelt, können ganze Büroetagen freigezogen werden. Schätzungen gehen von einem Einsparpotenzial von bis zu einem Viertel aus. Daher verwundert es nicht, dass vielerorts nicht nur Großunternehmen prüfen, wie sich die Arbeitswelt zukunftsorientiert gestalten lässt.

Wie zufrieden sind die Beschäftigten?

Studien deuten auf eine ausgeprägte Zufriedenheit der Beschäftigten mit der Corona-bedingten Heimarbeit hin. Das Homeoffice stärkt die persönliche Autonomie und vermag die Lebensqualität und Leistungsfähigkeit zu steigern. Allerdings sind die positiven Effekte abhängig von den Rahmenbedingungen, beispielsweise der Art der Tätigkeit, der Arbeitsumgebung und der familiären Interaktion. Immerhin verfügt die Mehrzahl der Beschäftigten nicht über ein privates Arbeitszimmer.

Gibt es auch negative Faktoren im Homeoffice?

Selbstverständlich. Laut einer Umfrage des Fraunhofer Instituts vermissen Beschäftigte vor allem den persönlichen und fachlichen Austausch, Kaffeepausen und Mittagessen sowie Kreativ-Sessions im Kollegen_innenkreis. Wenn Arbeiten am heimischen Wohnzimmer- oder Küchentisch stattfindet, besteht zudem die Gefahr, dass die Grenzen zwischen Berufs- und Arbeitsleben nachhaltig verschwimmen. Mentales Abschalten nach Erfüllung der beruflichen Pflichten könnte schwerer fallen und die Gesundheit der Beschäftigten Schaden nehmen.

Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?

Sollte Heimarbeit zukünftig dauerhaft erfolgen, indem Beschäftigte etwa regelmäßig an zwei Tagen pro Woche von Zuhause aus tätig werden, bedarf es weiterer Lösungen für Remote-Arbeit. Ich persönlich halte Community Coworking Center für ein zweckmäßiges Modell. Community Coworking Center bieten Vorteile, die denen des HomeOffice ähnlich sind, vermeiden jedoch soziale Isolation. Zudem könnten Community Coworking Center dazu beitragen, dass Arbeit in den ländlichen Raum zurückverlagert wird, kleine Städte und Gemeinden an Attraktivität gewinnen, die dortige  Lebensqualität wächst und gleichzeitig der ökologische Fußabdruck kleiner wird.

Wie kann man sich Community Coworking vorstellen?

Coworking ist eine Arbeitsform, bei dem man in Anwesenheit anderer seiner Tätigkeit nachgeht. Orte, an denen dies passiert, nennt man Coworking Spaces. Sie wurden zunächst von der Kreativbranche genutzt, um Impulse zu erhalten und ein produktivitätsförderliches Gemeinschaftsgefühl zu empfinden. Coworking Spaces finden sich noch überwiegend in Metropolen. Dieses Konzept müsste man auf den ländlichen Raum übertragen. Konkret vorstellen müssen Sie sich eine voll ausgestattete Büroinfrastruktur für ein gemeinschaftliches Arbeiten im Shared-Desk-Prinzip mit flexibler Buchungsmöglichkeit und ggf. einer Option zur Kinderbetreuung. Dafür könnte man bestehende Liegenschaften mit geringem Aufwand in Arbeitsraum umwandeln, z.B. ehemalige Postämter, Bibliotheken oder vakante Gewerbeflächen. Auch beim Neubau von ganzen Quartieren könnten Coworking-Flächen regelmäßig geschaffen werden.

Welche positiven Folgen hätte das?

Beschäftigte gewinnen vor allem Zeit, wenn sie in der Nähe ihres Heims arbeiten können. Dies erleichtert Eltern und insbesondere Frauen das Leben. Die gewonnene Zeit könnte auch genutzt werden, um eine Teilzeittätigkeit aufzustocken, was der Fachkräftesicherung helfen würde. Lokale Strukturen könnten belebt, die regionale Kaufkraft erhöht werden. Weniger Pendelei käme auch der Öko-Bilanz zugute. Die Landflucht käme zum Stillstand oder würde zumindest ausgebremst, was umgekehrt auch die Wohnraumknappheit in Metropolen entschärfen würde.

Wie könnte die Umsetzung aussehen?

Damit möglichst viele Beschäftigte Community Coworking Center als Alternative zum HomeOffice nutzen, müssen entsprechende Anreize geschaffen werden. Hierzu zählen die attraktive Gestaltung des Nutzungsentgelts, vor allem für Selbstzahler, ggf. die steuerliche Absetzbarkeit der Ausgaben sowie die Sensibilisierung von Arbeitgebern zur Übernahme der Kosten. Dies dürfte immer dann in Frage kommen, wenn Unternehmen durch mehr Remote-Arbeit Büroarbeitsplätze dauerhaft reduzieren und damit Kosten sparen können.

Was wird dann aus den bisherigen Büros?

Anstelle von Einzelarbeitsplätzen wird das Büro vor allem über Projekt- und Gemeinschaftsflächen für persönliche Begegnung und Interaktion verfügen, um auch agiles Arbeiten effektiver zu unterstützen. Unternehmen dürfen somit nicht allein auf Flächenreduzierung setzen, sondern müssen vielfältige und attraktive Räume für Büroarbeit schaffen. So erarbeiten sie sich einen Wettbewerbsvorteil, der eine nachhaltige Rendite abwerfen sollte.