Kemal Gökce
Kemal Gökce
„Berufungen von Professor*innen bestimmen … die Qualität von Lehre und Forschung an einer Hochschule.“ Gleich der erste Satz der Berufungsordnung der HTW Berlin verweist auf diese elementare Tatsache. Doch wie stellt es eine Hochschule eigentlich erfolgreich an, die besten Kandidat*innen für ihre frei werdenden Professuren zu finden? Diese Frage führt zu Kemal Gökce. Im Projekt „Talent Identification & Empowerment“ (TIEs) ist es seine Aufgabe, das Recruiting von Professor*innen voranzubringen. Im Gespräch gibt er Einblick, was er und das Projektteam dafür tun. Kemal Gökce selbst hat an der HTW Berlin seinen Bachelor im Studiengang Wirtschaftsrecht gemacht und anschließend Berufserfahrung in der Wirtschaft sowie am Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM gesammelt.
Was macht das Recruiting so anspruchsvoll?
Da kommen verschiedene Dinge zusammen. Recruiting ist in digitalen Zeiten mit diversen Portalen, Plattformen und Suchmaschinen ein komplexes Geschäft geworden. Man braucht einschlägiges Know-how und auch viel Zeit dafür. Zweitens herrscht in einigen Branchen Fachkräftemangel, der sich auch auf die Bewerbungslage an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften auswirkt. Im MINT-Sektor, also in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, fehlt es vor allem an Bewerberinnen. Die wünschen wir uns aber. Nicht nur wegen der Chancengerechtigkeit, sondern auch, weil Professuren erneut ausgeschrieben werden müssen, wenn sich nicht genügend qualifizierte Frauen beworben haben. So steht es in unserer Berufungsordnung.
Klingt nach aufwändiger Kommunikation!
Stimmt. Im Idealfall werde ich von den Fachbereichen frühzeitig einbezogen und kann die Beteiligten beraten. Denn es kommt auf Details an. Wo genau werden die Ausschreibungen für eine Professur veröffentlicht? Die wichtigsten für die HTW Berlin sind derzeit Academics.de, Stepstone, Indeed sowie LinkedIn. Was genau steht in den Texten und wie schauen die Ausschreibungen aus? Potenzielle Bewerber*innen checken Stellenanzeigen heutzutage eher selten am Rechner, sondern häufig auf dem Smartphone. Deshalb ist es nicht zielführend, zu viele Anforderungen und Voraussetzungen aufzulisten. Das wird zu unübersichtlich. Kürzere Ausschreibungstexte werden öfter gelesen, wirken attraktiver und laufen deutlich besser auf den einschlägigen Plattformen.
Gefragt sind personalisierte Texte, persönliche Ansprachen und natürlich auch Zeit für Nachfragen. Pro Professur sind das zehn bis 20 Interessierte, bei Lehraufträgen gerne auch das Doppelte. Schon am IZM-Fraunhofer lag mein Fokus darauf, mehr Bewerbungen von Frauen zu generieren. Dafür reicht es meiner Erfahrung nach nicht aus, beim Ausschreibungstext einfach zu gendern. Besser ist es, offensiv die Vorzüge anzusprechen und den Mehrwert einer Position zu benennen, der besonders Frauen interessieren könnte. Das können flexible Arbeitsmöglichkeiten sein, die Work-Life-Balance und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Gibt es Einschränkungen für eine Hochschule?
Selbstverständlich. Eine Hochschule muss sich an die Spielregeln ihrer Berufungsordnung halten und demokratische Entscheidungsstrukturen berücksichtigen. Es gibt deutlich mehr Zwischenschritte und mehr Verfahrensbeteiligte als in einem Unternehmen. Und, was ganz wichtig ist: Auch bei einem proaktiven Recruiting darf man lediglich auf freie Professuren aufmerksam machen. Als öffentliche Arbeitgeberin muss die HTW Berlin allen dieselben Informationen zur Verfügung stellen und darf niemanden bevorzugt behandeln. Sonst besteht die Gefahr einer Konkurrenzklage.
Machen Sie schon Fortschritte?
Definitiv. Das Recruiting von Professor*innen hat durch die Aktivitäten im Projekt TIEs deutlich Fahrt aufgenommen. Das liegt übrigens nicht nur an mir. Es ist im Team beispielsweise gelungen, die Abläufe zu beschleunigen. Unser Ziel ist es, Berufungsverfahren in acht Monaten über die Bühne zu bringen. Derzeit ziehen sich manche über 15 Monate. Das ist deshalb ein Problem, weil das Risiko, dass Bewerber*innen abspringen, steigt, je länger ein Verfahren dauert. Auch haben wir dafür gesorgt, dass die Berufungskommissionen einen besseren Überblick über die Bewerbungen haben. Gerade sind auch die lang ersehnten Ausführungshinweise zur Berufungsordnung im Intranet bereitgestellt worden. Doch es ist noch genug zu tun.
Welches ist der nächste Meilenstein?
Derzeit läuft die Implementierung eines Bewerbermanagementtools. Es wird sowohl die professionelle Verwaltung von Bewerbungen auf Professuren ermöglichen als auch das Handling der Lehrbeauftragten, und zwar hochschulweit. Das bedeutet größere Transparenz, den Erhalt von Wissen rund um den Berufungsprozess etc. Ich sehe aber noch andere Vorteile. Wir können mit dem Tool auch Analysen und Statistiken anstellen, die uns bei der gezielten Suche helfen. Im Umgang mit dem Tool wird erst das TIEs-Projektteam geschult, später auch die Mitglieder der Berufungskommissionen. Davor wird es natürlich Probeläufe geben.
Was kann man noch tun?
Wir wollen Plattformen und Portale gezielt durchforsten, um einen Pool von Bewerber*innen aus verschiedenen, für die HTW Berlin interessanten Branchen aufzubauen, die nicht sofort, aber perspektivisch für eine Professur in Frage kommen. Manchen Talenten fehlen noch ein oder zwei Jahre Berufspraxis oder auch Lehrerfahrung. Grundsätzlich gilt: Wenn wir die Besten für die HTW Berlin gewinnen wollen, müssen wir dranbleiben. Denn es gibt große Konkurrenz, sowohl in Gestalt von Unternehmen als auch in Gestalt von anderen HAW und auch von Universitäten.
Was bedeutet für Sie Diversität?
Für mich bedeutet Diversität, dass Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Perspektiven und Erfahrungen gleichberechtigt zusammenkommen, sich gegenseitig respektieren und voneinander lernen können. Vielfalt ist für mich nicht nur eine Frage von Herkunft, Sprache oder Geschlecht, sondern vor allem ein Mehrwert für gemeinsames Denken, Arbeiten und Leben. Sie schafft Raum für neue Ideen, stärkt das Verständnis füreinander und ermöglicht, dass jeder Mensch seine eigenen Stärken einbringen kann.


Weiterführende Links
Die Fragen stellte Gisela Hüttinger, Transfer- und Projektkommunikation
Fotos: HTW Berlin/Alexander Rentsch
Berlin, 30. Oktober 2025