Fragen stellen und digital an ihnen basteln
Am Anfang stand für Prof. Dr. Nassrin Hajinejad die Frage, wie durch die Gestaltung digitaler Medien Einfluss auf das Erleben von Menschen genommen werden kann. Danach weitete sich ihr Blick darauf, wie sich die Digitalisierung auf die Gesellschaft auswirkt. Aktuell geht es ihr um die Erklärbarkeit von KI-Systemen, wiederum mit spezieller Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Gesellschaft. Wie die 2024 berufene Prof. Dr. Nassrin Hajinejad ihren Start an der HTW Berlin erlebt hat und in welcher besonderen Beziehung die Hochschule und die Hauptstadt zueinander stehen, berichtet sie im Gespräch.
„Mich hat es immer fasziniert, Fragen zu stellen, Dingen bis ins Detail nachzugehen, an ihnen zu forschen – und digital an ihnen zu basteln“, erklärt Prof. Dr. Nassrin Hajinejad ihren Weg in die Wissenschaft. „Das macht mir großen Spaß und motiviert mich. Und ich genieße es sehr, in interdisziplinären Kontexten unterwegs zu sein“, schiebt sie gleich noch hinterher. Und so kam es nach dem Bachelor und dem Master im hochschulübergreifenden Studiengang Digitale Medien an der Bremer Hochschule schließlich zu einem Forschungsprojekt, das 2020 zu ihrer Promotion „GangKlang“ führte. Darin geht es um ein Konzept und Designlösungen für eine App zur Gestaltung von interaktiven Klängen, um Gehenden zu helfen, den Prozess des Gehens zu unterstützen und zu verbessern. Sonic Interaction Design nennt sich das und die Forschung dazu war interdisziplinär angelegt.
Erweiterter Blick vom Individuum auf die Gesellschaft
Diese Interdisziplinarität zieht sich durch ihre Laufbahn. Nach einer „Auszeit, nicht beruflich, sondern von der Stadt Bremen“ ging es als Coach im Studiengang ZukunftsDesign an die Coburger Hochschule, bevor es Hajinejad nach Berlin ans Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS) zog. Wieder ist es die Schnittstelle Mensch-Computer, die sie besonders interessiert, aber jetzt mit einem erweiterten Blick vom Individuum zur Gesellschaft. „Ich habe es zunehmend als gewisses Luxusproblem gesehen, Lösungen nur für einen einzelnen Menschen zu suchen. Da hat es mich sehr gereizt, mir am FOKUS die Digitalisierung mit einer Makroperspektive auf die Gesellschaft anzusehen“, so Hajinejad. Konkret befasste sie sich dabei beispielsweise mit digitalen Assistenten und deren gemeinwohl-orientierter Gestaltung.
Erklärbarkeit von KI
Noch einen Schritt weiter gehen Hajinejads Schwerpunkte an der HTW Berlin, an die sie 2024 berufen wurde. „Ich beschäftige mich hier mit der Human-AI-Interaction, also dem Umgang von Menschen mit Künstlicher Intelligenz, beispielsweise was berücksichtigt werden muss, damit wirklich verantwortungsvolle Entscheidungen getroffen werden können“, erläutert Hajinejad. Ziel ist es unter anderem, die Ergebnisse von KI-Systemen für Menschen verständlich und erklärbar zu machen sowie Entscheidungsgrundlagen offenzulegen. „Es ist von größter gesellschaftlicher Bedeutung zu verstehen, wie es zu einer Entscheidung eines digitalen Helfers kam. Wenn mir im Alltag auf einer Karte die schnellste Fahrroute angezeigt wird, ist es auch relevant zu gucken, wie diese Route ausgewählt wurde“, erläutert Hajinejad. „Ist die Strecke vielleicht für mich als Individuum gut, um den Stau zu umfahren, führt sie aber anderseits zur starken Verkehrsbelästigung in einer kleinen Nachbarschaft? Es geht also nicht nur darum, auf die einzelnen individuellen Bedürfnisse zu gucken, sondern auch auf gesellschaftliche Werte und Auswirkungen“, so Hajinejad.
Von der Robotikdozentin zur Professorin
Begleitet hat Hajinejad immer auch die Frage, wie sie das, wofür sie sich begeistert, auch anderen vermitteln kann. Schon als „Robotikdozentin“ während ihres Studiums, als sie Schüler*innen an die Informatik heranführte, und als Coach in Coburg war ihr die Augenhöhe wichtig. „Man begleitet den Prozess und gibt Input, aber eben nicht frontal“, so Hajinejad. Mit den Studierenden der HTW Berlin arbeite sie möglichst viel in einem „Workshop-artigen Setting“, bei dem Modelle, Sachverhalte oder Probleme gemeinsam diskutiert werden und insbesondere „Wissen wirklich angewendet“ werde. „Was ich den zukünftigen Medieninformatiker*innen außerdem immer mitzugeben versuche, ist, dass sie diese Gesellschaft mitgestalten“, sagt Hajinejad. Über das Fraunhofer-Institut, das eng mit Partnern aus der Industrie oder beim FOKUS insbesondere der öffentlichen Verwaltung zusammenarbeitet, schafft Hajinejad eine enge Verbindung zur Wirtschaft.
Onboarding leicht gemacht
„Sehr imponiert“ hat ihr der eigene Start an der HTW Berlin, sagt Hajinejad. „Es gibt ein Neu-Berufenen-Programm, das ein tiefgreifendes Onboarding und ein wichtiger Service ist. Es hilft in didaktischen Fragen und ermöglicht und erleichtert vor allem auch das Netzwerken in dieser Riesenorganisation, das sonst viel länger dauern würde“, so Hajinejad. „Ich fand es sehr beeindruckend, dass man sich so intensiv Gedanken darüber gemacht hat, wie neue Leute gut ankommen können. Das ist eher nicht selbstverständlich an Hochschulen. Es sagt viel über die Qualität aus, wenn das, was nach außen theoretisch kommuniziert wird, tatsächlich intern in der Organisationspraxis gelebt wird.“
Stadt und HTW Berlin matchen
Nach zwei Semestern an ihrer neuen Wirkungsstätte sagt Hajinejad: „Die ganze Kultur der HTW Berlin matcht für mich sehr mit meinem Berlinbild. Was ich nicht mehr missen möchte, sind die Vielfalt und das Lebendige, die Offenheit und die unterschiedlichen Perspektiven der Hochschule, die auch sehr gut zu Berlin passen“, sagt sie. Es sei ein gutes Gefühl, dass das sehr Bunte und Unterschiedliche „gewertschätzt und unterstützt“ werde. „Berlin ist quirlig und nicht so glattgebügelt – und das findet sich auch an der HTW Berlin wieder“, so Hajinejad. Diese Form von Freiheit ist letztlich auch die Bedingung für ihre Tätigkeit: „Das Wichtigste in der Wissenschaft ist die Freiheit, sich mit Fragen auseinandersetzen zu können, die einen interessieren, ohne dass man eingezwängt wird.“