Anja Liebau
Anja Liebau
Anja Liebau arbeitet seit 2018 beim Berliner Zentrum Industriekultur (bzi). Dort verantwortet die 44-Jährige die Kommunikation und die Finanzen. Zuvor hat die studierte Produktdesignerin 12 Jahre lang in einem Berliner Designbüro gearbeitet. 2016 nahm sie berufsbegleitend an der HTW Berlin den MBA General Management auf und schloss diesen 2019 ab.
Was ist das Besondere an der Berliner Industriekultur?
Ihre Vielseitigkeit. Orte der Industriekultur gibt es überall in der Stadt, jede und jeder begegnet ihr täglich auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule, im eigenen Kiez. Manchmal versteckt, vielleicht im Hinterhof, manchmal riesen groß und offensichtlich wie unser Campus Wilhelminenhof. Diese Orte erzählen von einer Zeit, als in Berlin um 1900 das erste elektrische Licht anging, die erste U-Bahn fuhr und Firmen wie Siemens und AEG den Weltmarkt eroberten. Heute studieren, leben oder tanzen Menschen an diesen Orten. Die einstigen Fabrikhallen, Gewerbehöfe oder Werkstätten sind ein Schatz für Berlin. Wir unterstützen den Erhalt sowie die Umnutzung dieser ehemals industriellen Stätten. Damit es dafür ein Bewusstsein in der Bevölkerung und auch in der Politik gibt, erzählen wir ihre Geschichten und zeigen ihr Potential.
Welcher Schauplatz gefällt dir besonders gut und warum?
Zu den Schauplätzen der Industriekultur Berlin gehören Museen, historische Orte und Unternehmen, die seit über 100 Jahren in Berlin produzieren. Im Moment gibt es 18 dieser Orte in unserem Netzwerk. Und die sind alle so herrlich unterschiedlich. Mit dabei ist beispielsweise das Deutsche Technikmuseum, der Industriesalon Schöneweide aber auch das Naturschutzzentrum Ökowerk. Wenn ich mich für einen Ort entscheiden müsste, dann ist das der Pfefferberg. Ich wohne fußläufig von dort entfernt und bin öfter mit meiner Familie auf dem Gelände. Der Pfefferberg liegt etwas versteckt von der wuseligen Schönhauser Allee auf einem Plateau. Moderne Architektur trifft auf historische Bauten. Genauso verschlungen wie die Wege auf dem Areal sind, so abwechslungsreich ist dessen Geschichte. Früher war dort eine Brauerei, heute ist es ein belebter Ort mit Theater, Gastronomie und Künstler*innenateliers. Im Sommer gibt es einen sehr netten Biergarten, im Winter spielt das Pfefferberg-Theater im Glaspalast, der umringt ist von einem kleinen, feinen Weihnachtsmarkt. Also, hin und selber anschauen.
Welche Strategien und Kanäle nutzt ihr, um das Interesse der Öffentlichkeit an der Industriekultur zu wecken?
Wir entwickeln Angebote, mit denen wir Berlins industrielles Erbe einem möglichst breiten Publikum zugänglich machen. Dazu gehören z. B. die Fahrradrouten, unser Netzwerk der Schauplätze oder die Industrial Heritage Summer School, die im August an der HTW Berlin stattgefunden hat. Um über das Thema und unsere Angebote zu informieren, nutzen wir auch unsere Webseite sowie Social Media. Und wenn es das Budget zulässt, schalten wir Anzeigen, digital und in Printmedien. Dieses Jahr haben wir gezielt Anzeigen in Radmagazinen geschaltet. Im Juni freuten wir uns über einen umfangreichen Bericht über unsere Radrouten in der Süddeutschen Zeitung. Danach erreichten uns Flyeranfragen von Kiel bis Konstanz.
Welchen Herausforderungen begegnest du in deinem Job?
Unser Team brennt für das Thema. Dieser Funke ist aber noch nicht auf jede und jeden da draußen übergesprungen. Es gibt viele Denkmale die verfallen oder weichen müssen, weil z. B. Wohnraum entstehen soll. Leider fehlt oftmals der Mut, die Vorstellungskraft oder die Bereitschaft, diese Denkmale zu entwickeln und in neue Stadtquartiere zu integrieren. So geht ein Teil Berliner Geschichte und Identität verloren.
Wenn Geld keine Rolle spielen würde, was für eine Kampagne oder Projekt würdest du gerne mal umsetzen?
Im Bereich Digitalisierung gibt es eine Menge spannender Projektideen, die richtig und wichtig wären. Da ich viel im Bereich Leit- und Orientierungssysteme gearbeitet habe, fände ich eine bessere Sichtbarkeit unseres Themas im öffentlichen Stadtraum großartig. Beispielsweise mit der Ausschilderung aller unserer Radrouten. Für die Route „Warmes Licht und kühles Bier“ ist die Umsetzung bereits auf einem guten Weg. Die Finanzierung dafür liegt nicht beim bzi, sondern bei der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt. Außerdem arbeiten wir gerade an der Umsetzung einer Infostele am Deutschen Technikmuseum vor dem Science Center Spectrum. Diese wird im Herbst aufgebaut und informiert über die dort startenden Radrouten sowie die Industriegeschichte vor Ort. Mit mehr Budget könnten wir vielleicht an allen Schauplätzen Stelen aufstellen lassen und so die Vernetzung der Orte untereinander verdeutlichen und Informationen leichter zugänglich machen.
Welche Beobachtungen machst du mit Blick auf das Thema Diversität in deinem Arbeitsalltag?
Die Industriekultur ist vielfältig, nicht nur in Ihrer Architektur und Geschichte, sondern auch was die Menschen betrifft, die an den Orten gearbeitet haben, heute dort tätig sind oder diese besuchen. Eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen, ist die generationenübergreifende Vermittlung und Kommunikation. Da ist zum Beispiel die junge Generation, die zu Recht kritische Fragen stellt und Dinge anders machen will. Die trifft auf eine Generation, die mit viel Wissen und zivigesellschaftlichem Engagement seit Jahrzehnten industriehistorische Orte am Leben hält. Diese Parteien in den Dialog und Einklang zu bringen, wäre mir ein Anliegen.
Über das bzi
Das Berliner Zentrum Industriekultur (bzi) ist eine Kooperation der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen (oberste Denkmalschutzbehörde Berlin). Es wird maßgeblich durch das Land Berlin finanziert und fachpolitisch begleitet.
Die Fragen stellte Hannah Weißbrodt, Team Kommunikation
Fotos: HTW Berlin/Alexander Rentsch
Berlin, 10. Oktober 2024