Transformation: Wie Studierende zu Lehrenden wurden

Jana Strüve und Carolin Rohmann

„Gemeinwohlöko…WAS?“ lautete der offizielle Titel einer Lehrveranstaltung von den beiden ehemaligen HTW-Studentinnen Jana Strüve und Carolin Rohmann (geb. Flege), die 2021 den Sonderpreis für gute Lehre erhalten haben. Hinter dem selbstironischen Namen stecken eigene Erfahrungen. Denn auch die beiden Studentinnen hatten bis zu ihrer Teilnahme am „Transform it!“-Projekt noch nicht viel von der Gemeinwohlökonomie (GWÖ) gehört. Die GWÖ beschreibt eine neue Wirtschaftstheorie, die 2010 entstanden ist. Das Ziel ist eine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Reform weg vom Kapitalismus, der aus Sicht der GWÖ-Community durch zu viel Profitstreben und Konkurrenz weder dem Wohle aller dient, noch den Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird. Stattdessen sieht die Bewegung Gemeinwohlstreben und Kooperation als Basis eines guten Lebens für die Weltgemeinschaft an. Kern des Modells ist, dass Unternehmen, die ökologisch, nachhaltig und sozial wirtschaften, in einer Gemeinwohlökonomie im Vorteil sind – heute schon durch mehr Glaubwürdigkeit, in Zukunft auch durch rechtliche und finanzielle Anreize (z.B. niedrigere Steuern, günstigere Kredite, Vorrang bei öffentlichen Aufträgen oder Förderungen).

Die Suche nach konkreten Ideen

Das Thema Nachhaltigkeit begleitet jüngere Generationen inzwischen auf Schritt und Tritt. Es verwundert also nicht, dass auch im Studienkontext viel über Nachhaltigkeitsthemen diskutiert wird. „Die Diskussionen bleiben aber oft recht oberflächlich“, kritisiert Jana Strüve. „Es fehlen eine Einordnung in den wirtschaftlichen Kontext und ganz konkrete Lösungsvorschläge.“ Per E-Mail kam dann zur richtigen Zeit das richtige Angebot: Studierende wurden aufgefordert, im Rahmen von „Transform it!“ selbst eine Lehrveranstaltung zum Thema „Nachhaltigkeitstransformation“ zu gestalten. Dieser Begriff klingt zunächst kompliziert – doch er steht für eine einfache Tatsache: Die Gesellschaft muss sich umformen, also transformieren, um Nachhaltigkeitsziele erreichen zu können. Für Strüve also die perfekte Gelegenheit, um das fehlende Puzzlestück in der Nachhaltigkeitsdiskussion selbst zu finden und eine Lehrveranstaltung zu gestalten, die sich mit konkreten Ideen für den Wandel zur nachhaltigen Gesellschaft befasst. Carolin Rohmann lieferte dann das passende Thema. Denn im Rahmen eines Seminars über Markenstrategien hatte sie sich mit einem Unternehmen beschäftigt, das bereits Teil der GWÖ-Bewegung war. Nun galt es, tief in dieses Thema einzutauchen, ein Lehrkonzept zu entwickeln und sich für die Teilnahme am „Transform it!“-Projekt zu bewerben.

Vom Lernen zum Lehren

Aber noch mal einen Schritt zurück: Wie entsteht ein Lehrkonzept, wenn man, wie Strüve und Rohmann, bisher keine Lehrerfahrung hat? Am Anfang stand die Erkenntnis, dass beide eigentlich doch Erfahrung mit Lehre haben – nur eben aus studentischer Perspektive. Also haben sie sich von ihren Lieblingsprofessor*innen inspirieren lassen. Coronabedingt sollte eine reine Online-Veranstaltung vorbereitet werden. „Wir hatten gerade erst ein Online-Semester hinter uns und wussten, wie schnell man abschweifen kann, wenn man alleine vor der Webcam sitzt“, erzählt Rohmann. „Deshalb wollten wir sehr interaktiv arbeiten und uns dem Thema als Gruppe nähern.“ Die beiden „Transform it!“-Lehrenden sahen sich nicht in der Rolle der „Welterklärerinnen“, sondern wollten die Gruppe eher begleiten. Einerseits, um offenen und ehrlichen Austausch auf Augenhöhe zu ermöglichen. Andererseits aber auch, weil Transparenz und Mitentscheidung zu den wesentlichen Werten der Gemeinwohlökonomie zählen und dieser Ansatz daher sehr passend erschien.

Inhalte und Methoden

Inhaltlich hat sich der Kurs vom Allgemeinen zum Besonderen hingearbeitet. Zunächst wurden die Probleme des aktuellen Wirtschaftssystems gemeinsam herausgearbeitet und im weiteren Verlauf den Werten, Visionen sowie Grundgedanken der Gemeinwohlökonomie gegenübergestellt. Danach sollten die Erkenntnisse auf Unternehmensebene heruntergebrochen werden. Strüve erklärt: „Da wir uns selbst nicht als Expertinnen gesehen haben, hatten wir die Idee, Fachleute aus der Wirtschaft einzuladen. Die Gespräche darüber, wie Unternehmen die GWÖ bewerten und warum sie ein Teil oder eben noch kein Teil der GWÖ sind, haben viel Schwung in die Diskussion gebracht!“ Methodisch setzte sich jede Unterrichtseinheit aus einer Mischung aus Input, Diskussion und Gruppenarbeit zusammen, um Studierenden eine aktive Mitarbeit zu ermöglichen. Besonders in der Arbeit mit Miro-Boards konnten alle Kursteilnehmer*innen gut miteinbezogen werden.

Wissen anwenden

Die Prüfungsleistung bestand aus einer Gruppenarbeit. Jedes Team durfte sich ein Unternehmen aussuchen, welches ganz klassisch gewinnorientiert wirtschaftet. Die Studierenden sollten dann überlegen, durch welche Veränderungen dieses Unternehmen zukünftig Teil der Gemeinwohlökonomie werden, also gemeinwohlorientiert wirtschaften könnte. In diesem Rahmen sollten unter anderem erste Überlegungen zu einer Gemeinwohl-Bilanz angestellt werden, also mittels eines standardisierten Bewertungsverfahrens überprüft werden, inwieweit das Unternehmen schon heute dem Gemeinwohl dient und wo noch Verbesserungsbedarf besteht. Für die Präsentation der Ergebnisse sollten sich die Studierenden in die Rolle einer Person im Management versetzen, die den bzw. die Chef*in davon überzeugen möchte, als Unternehmen nach den Prinzipien der GWÖ zu wirtschaften.

Resümee und Ausblick

Das Feedback der Studierenden zu der Lehrveranstaltung war so positiv, dass Carolin Rohmann und Jana Strüve ihren Kurs noch in einem weiteren Semester angeboten haben. „Das große Interesse an unserem Kurs hat gezeigt, dass sich die Studierenden mehr solcher Einblicke in alternative Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme wünschen“, so das Fazit der beiden ehemaligen „Transform it!“-Lehrenden. Das Thema Gemeinwohlökonomie hat beide so begeistert, dass sie mittlerweile Mitglieder des GWÖ-Vereins geworden sind und sich dort ehrenamtlich engagieren. Und weil sie außerdem so viel Spaß beim Lehren hatten, überlegen Strüve und Rohmann sogar den Kurs im kommenden Wintersemester noch einmal anzubieten – diesmal dann als Lehrbeauftragte.

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