Wenn nur noch der Kiezbote klingelt…
Wann haben Sie zuletzt ein Paket an der Wohnungstür entgegengenommen? Vermutlich ist das länger her. Denn nur jede_r fünfte Empfänger_in kommt in den Genuss einer persönlichen Zustellung, fand Prof. Dr. Stephan Seeck im Rahmen seiner Untersuchung heraus. Jede_r zweite muss das Päckchen stattdessen beim Nachbarn, in einer Postfiliale oder einem Ladengeschäft im Kiez abholen und selbst nach Hause schleppen. Das Fazit des Logistik-Experten an der HTW Berlin: Paketzustellung und Kundenservice bilden einen Widerspruch in sich. Eine ernüchternde Erkenntnis in Zeiten des sprunghaft wachsenden Online-Handels. Doch Prof. Dr. Seeck hat eine Vorstellung, wie man die Zufriedenheit der Empfänger_innen steigern könnte.
Ausführliche Befragung und Recherchen
Für die Studie trieben Prof. Dr. Seeck und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Marco Göhr einigen Aufwand. Sie interviewten die Bewohner_innen von zwei Straßenzügen in den Berliner Bezirken Wilmersdorf und Wedding, führten eine Online-Befragung unter 20.000 Hochschulmitgliedern der HTW Berlin und TH Wildau durch und sprachen mit sogenannten Heavy Usern, die mehr als ein Paket pro Woche bekommen. So flossen die Erfahrungen von insgesamt 2.200 Männern und Frauen in die Studie ein. Außerdem begleiteten die beiden Wissenschaftler Paketboten von vier unterschiedlichen Zustelldiensten und beobachteten die ausgewählten Straßenzüge selbst, um Antworten der Befragten besser einordnen zu können.
Zustellfahrzeuge fahren selten und stehen oft
Manche Ergebnisse überraschen. Dass beispielsweise die Zustellquote keineswegs abnimmt, je mehr Treppen zu steigen sind. Es aber sage und schreibe 81 Prozent der Empfänger_innen schon passiert ist, dass sie ihr Paket nicht erhalten, obwohl sie zu Hause waren. Dass jeder fünfte Gewerbetreibende nicht als Abholstation „missbraucht“ werden möchte und Pakete nur noch für ausgewählte Nachbar_innen annimmt. Und dass mitnichten Singles in der Innenstadt besonders viele Pakete bekommen, sondern Familien in Ein- oder Zweifamilienhäusern. Auch beeindruckende Zahlen kann man lesen. Dass in Berlin täglich rund 2.500 Zustellfahrzeuge unterwegs sind, die bei einer durchschnittlichen Tourdauer von ca. fünf Stunden 4,5 Stunden stehen, davon 80 Minuten in zweiter Reihe. Dies bedeutet, dass zwischen 10.00 und 15.00 Uhr in Berlin 600 Fahrzeuge ständig in zweiter Reihe herumstehen und Staus verursachen.
Die meisten wünschen eine persönliche Übergabe
Doch zurück zur Zufriedenheit mit der Zustellung von Paketen. Die lässt wie eingangs erwähnt nicht nur zu wünschen übrig, sondern sie steht, wie die Studie ergab, sogar in einem krassen Widerspruch zu den Wünschen der Empfänger_innen. Denn für immerhin 30 Prozent ist die persönliche Übergabe des Pakets wichtig, für weitere 54 Prozent sogar sehr wichtig. Und diese persönliche Übergabe wird umso wichtiger, je älter die Menschen sind und je mehr Pakete sie bekommen. In diesen Fällen wünschen sich die Empfänger_innen sogar eine einzige Anlieferung statt mehrmals am Tag von unterschiedlichen Zustellern herausgeklingelt zu werden.
Auf die letzte Meile kommt es an
„Die letzte Meile ist also das Problem“, zieht Prof. Dr. Seeck Resümee, der vor seiner Berufung an die HTW Berlin große Unternehmen aus Handel und Konsumgüterindustrie in Logistikfragen beraten hat. Doch wie kriegt man die letzte Meile in den Griff, wie kann der Wunsch nach persönlicher und gebündelter Zustellung erfüllt werden?
Wäre ein Kiezbote die Alternative?
Möglicherweise mit einem „Kiez-Boten“, sagt der Wissenschaftler und Hochschullehrer im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen der HTW Berlin. Dieser „Kiez-Bote“ würde nicht mit den Paketdienstleistern konkurrieren, sondern für alle die letzte Meile als separater Dienstleister in einem begrenzten Raum übernehmen — eben dem Kiez. Prof. Dr. Seecks Vision: eine umweltfreundliche Zustellung mit Lastenfahrrad oder Handkarren, die von den Empfänger_innen via Kommunikations-App individuell gesteuert wird. Auch frische Lebensmittel wären beim Kiez-Boten in guten Händen, die Mitnahme von Retouren völlig problemlos. Ob das Konzept auch wirtschaftlich funktioniert, will er im Projekt "Kundenorientierte Paketzustellung durch den Kiez-Boten" herausfinden. Die Arbeit hat schon begonnen.