Wyatt Gordon
Wyatt Gordon
Dass Prof. Dr. Florian Koch seine Anfrage auf der Plattform LinkedIn so unkompliziert beantwortete, begeistert Wyatt Gordon noch heute. Der studierte Stadtplaner und Journalist war 2023 in seiner Heimatstadt Richmond in Virginia auf der Suche nach einem Wissenschaftler, der ihn bei seinem Fulbright-Stipendium „unter die Fittiche“ nahm. „Sponsorship“ heißt das in dem prestigeträchtigen Programm, wobei in diesem Fall kein Geld fließt, sondern eine fachliche Begleitung gemeint ist. Auf die HTW Berlin war die Wahl des US-Amerikaners gefallen, weil er die Hochschule vom letzten Aufenthalt bei seiner Biesdorfer Gastfamilie kannte. Im September 2024 kehrte er zurück. Ein Jahr hat der 34-jährige nun Zeit, von Berlin aus zur Wohnungskrise zu arbeiten. Wie er das angeht, erzählt er im Interview.
Wie kommt ein Journalist zu einem Fulbright-Stipendium?
Wyatt Gordon: Das passiert tatsächlich selten. Unter den 80 Stipendiat*innen, die zum Auftakttreffen in Marburg kamen, waren nur vier Journalist*innen. Wir sind quasi die schwarzen Schafe in der Fulbright-Familie. Drei gingen nach Berlin, eine nach Dresden. Wir haben völlig unterschiedliche, aber sehr spannende Themen. Ich selbst bin Stadtplaner und werde mich im nächsten Jahr mit der Wohnungskrise beschäftigen. Deshalb passt Prof. Dr. Koch mit den Schwerpunkten Immobilienwirtschaft, Smart Cities und Stadtentwicklung fachlich perfekt. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er meine Anfrage auf LinkedIn beantwortete. Das war vermutlich das erste Mal, dass mir die Plattform etwas brachte (lacht).
Woher kannten Sie Berlin und die Hochschule?
Ich bin über ein parlamentarisches Patenschaftsprogramm zum ersten Mal nach Berlin gekommen und habe dabei meine Gastfamilie in Biesdorf kennengelernt. Wir mochten uns auf Anhieb. Später kam ich wieder, nämlich über das Bundeskanzler-Stipendien-Programm für angehende Führungskräfte aus den USA. Damals habe ich im Büro von Antje Kapek gearbeitet, einem Mitglied im Berliner Abgeordnetenhauses. Biesdorf liegt nicht weit entfernt von Karlshorst, hier wohnt auch mein Gastbruder. Von daher wusste ich, dass die HTW Berlin super ist. Auf Prof. Dr. Koch wurde ich über ein wissenschaftliches Paper aufmerksam und habe ihn dann gezielt kontaktiert.
Wie fühlt sich der Aufenthalt an der HTW Berlin an?
Wunderbar. Ich habe ein Büro im Flachbau bekommen, das International Office und Florian Koch haben mir bei den Formalitäten geholfen. Jetzt besuche ich Florians Einführungskurs zur deutschen Wohnungspolitik. Denn die kenne ich trotz meines Studiums der Stadtplanung nicht genau genug. Danach gehen wir gemeinsam in die Mensa. Ich nehme am liebsten die klassischen, deutschen Gerichte. Die können sie am besten.
Wie muss man sich Ihre Arbeit zur Wohnungskrise vorstellen?
Ich will mich jeden Monat mit einem anderen Aspekt der Wohnungskrise beschäftigen. Warum ist es in Deutschland beispielsweise nicht gelungen, die angekündigten 400.000 Wohnungen zu bauen, sondern gerade mal ein Viertel? Dafür habe ich bereits verschiedene Interviews geführt. Mich interessiert vor allem der Vergleich, denn in Amerika schaut man viel zu selten nach Europa und Deutschland, dabei können wir doch alle voneinander lernen.
Für wen sind Ihre Texte gedacht?
Ich kooperiere mit amerikanischen Thinktanks und will von Berlin nach USA berichten. Aber ich habe auch schon mit der ZEIT gesprochen oder der Süddeutschen Zeitung. Vielleicht ergibt sich da auch eine Möglichkeit zur Veröffentlichung. Grundsätzlich ist es mir wichtig, komplexe Themen einfach und anschaulich darzustellen. Als Journalist bin ich Quereinsteiger und weiß, wie wichtig das ist. Erstens gibt es nicht so viele Journalist*innen, die sich mit der Materie auskennen. Zweitens gibt es in der Stadtplanung die Tendenz, absichtlich kompliziert zu formulieren, damit möglichst wenige Bürger*innen mitreden können und wollen. Das mag ich gar nicht.
Mit wem würden Sie gerne einen Kaffee oder Tee trinken?
Gerne einen Kaffee mit Anne Hidalgo, der Bürgermeisterin von Paris. Dabei interessiert mich nicht die ideologische Seite ihrer Politik; ich bin vielmehr sehr beeindruckt davon, was sie für die Lebensqualität in der französischen Hauptstadt geleistet hat. Mehr bezahlbare Wohnungen, mehr Fußgängerzonen und weniger Schmutz, Lärm und Autoverkehr – das ist ein tolles Rezept, um das Leben der Menschen zu verbessern.
Was bedeutet für Sie Diversität?
Die enorme Diversität der Menschheit, die wir heute anerkennen, hat es immer gegeben. Die Unterschiede zwischen acht Milliarden Menschen sind eine Stärke, da unsere Gesellschaft von vielfältigen Perspektiven profitieren kann. Wenn wir die Bedürfnisse vernachlässigter Gruppen im Auge behalten, dann machen wir die Welt für alle besser. Ein gutes Beispiel dafür ist das Konzept des Universellen Design.
Wyatt Gordon arbeitet als Journalist unter anderem für den Virgina Mercury. Dabei handelt es sich um eine unabhängige, gemeinnützige Online-Nachrichtenorganisation. Sie wurde 2018 ins Leben gerufen, um eine neue Perspektive in die Berichterstattung über die wichtigsten politischen Themen des Bundesstaates zu bringen und die Lücken in der Berichterstattung zu schließen, die durch eine schrumpfende Medienbranche entstanden sind. Finanziert wird sie über Zuschüsse und Spenden.
Die Fragen stellte Gisela Hüttinger, Transfer- und Projektkommunikation
Fotos: HTW Berlin/Alexander Rentsch
Berlin, 19. Dezember 2024