Weltrekord auf einem Quadratzentimeter
Heute nimmt sie Zartbitter-Kuvertüre statt Perowskit und Silikon anstelle von Silizium. Das Publikum kommt in Scharen zur Langen Nacht der Wissenschaften und Prof. Dr. Christiane Becker bringt Schokolade zum Schimmern und Kinderaugen zum Leuchten. Zeigen will sie, dass es auf die Struktur einer Oberfläche ankommt, was mit auftreffenden Sonnenstrahlen passiert. Das ist das Spezialgebiet der Wissenschaftlerin, die im Fachbereich 1 der HTW Berlin lehrt und am Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) forscht: die Strukturierung der Oberfläche von Solarzellen, um deren Wirkungsgrad zu steigern. Die Erfolge sind bemerkenswert. Für acht Monate hielt das HZB den Wirkungsgrad-Weltrekord, an dem Prof. Dr. Becker mit ihrem Team beteiligt war.
Weltweites Kopf-an-Kopf-Rennen in der Forschung
Tatsächlich „nur“ beteiligt, denn die Solarzellenforschung ist eine komplexe Materie, mit deren Facetten sich viele Expert*innen beschäftigen. Allein am HZB in Berlin-Adlershof arbeiten seit Jahren über 50 Wissenschaftler*innen und Ingenieur*innen in verschiedenen Gruppen sowohl an den Perowskit-Halbleitern als auch an Siliziumtechnologien und der Kombination von beiden zu innovativen, deutlich effizienteren Tandemsolarzellen. Und sie sind damit nicht allein. Vielmehr findet weltweit eine Art Kopf-an-Kopf-Rennen statt. Im Januar 2020 hatte das HZB den Rekord-Wirkungsgrad von 29,15 Prozent für eine Perowskit-Silizium-Tandemsolarzelle erreicht. Dann bekam die Firma Oxford Photovoltaics vor Weihnachten 2020 einen Wirkungsgrad von 29,52 Prozent zertifiziert, danach hatte wie erwähnt das HZB die Nase wieder vorn, mit einem Wirkungsgrad von 29,80 Prozent, was erst kürzlich von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (EPFL), einer technisch-naturwissenschaftlichen Universität im schweizerischen Lausanne, mit über 31 Prozent übertroffen wurde.
Die Photovoltaik soll günstiger werden
Warum dieser ressourcenintensive Wettlauf um die Leistungsfähigkeit einer sage und schreibe einen Quadratzentimeter großen Solarzelle? Denn das ist die in der Forschung übliche winzige Fläche, auf der gearbeitet wird. „Wir wollen die Photovoltaik zu einer immer günstigeren Energieform machen“, sagt Prof. Dr. Becker und bringt das nächste Töpfchen mit Zartbitter-Kuvertüre zum Schmelzen, damit wieder ein Knirps staunen kann. Der Wirkungsgrad der jetzigen Silizium-Standardtechnologie sei kaum mehr verbesserbar, erklärt sie. Aber Solarzellen der Zukunft müssen effizienter werden, um die Energiewende zügig voranzutreiben!
Eine Option: Tandemsolarzellen
Um das zu erreichen stehen aktuell so genannte Tandemsolarzellen hoch im Kurs: Dabei werden "Metallhalogenid-Perowskite", eine recht junge Materialklasse, mit den etablierten Silizium-Solarzellen kombiniert. Die Tandemsolarzellen vermögen das Sonnenlicht besser auszubeuten: Die Siliziumschicht wandelt den roten und infraroten Bereich des Sonnenlichts in Energie um, die Perowskit-Schicht übernimmt die Ausbeute des grünen und blauen Spektrums. So ergibt sich ein höherer Wirkungsgrad.
Ein kleines, aber sehr komplexes Bauteil
Die besagten Tandemsolarzellen stellt das HZB übrigens komplett in-house selbst her. Da geht es durchaus handwerklich zu. „Erst werden die Siliziumscheiben gesäubert, dann im Vakuum beschichtet, dann werden mit Hilfe von Nanopräge-Lithografie Texturen auf die Siliziumscheiben aufgebracht“, zählt Prof. Dr. Becker nur einige der ungefähr 40 Prozessschritte auf, die für den Bau einer Tandem-Solarzelle nötig sind. Denn so winzig das einen Quadratzentimeter kleine Bauteil auch wirkt, so komplex ist sein Aufbau und seine Herstellung bedarf vielfältiger Expertise.
Nanostrukturen reduzieren die Reflektion
Im Fokus von Prof. Dr. Beckers Forschung stehen konkret optische Nanostrukturen, um das Sonnenlicht in den Solarzellen effizienter in elektrische Energie umwandeln zu können. Unter anderem führt die nanostrukturierte Oberfläche dazu, dass weniger Sonnenlicht reflektiert, also mehr Licht in Energie umgewandelt werden kann. Dabei wird das Perowskit wie die Zartbitter-Kuvertüre in der Langen Nacht in flüssiger Konsistenz auf die nanostrukturierten Siliziumzellen aufgeschleudert. Noch funktioniere das nur im Labor, doch am Anschluss an die Industrie werde intensiv gearbeitet. Gearbeitet wird auch am Schutz gegen Feuchtigkeit, an der Stabilität und Haltbarkeit der Solarzellen, nicht zuletzt ist der Bleigehalt von manchen Perowskitzellen eine Herausforderung.
Möglichst bald aus dem Labor in die Produktion
„Natürlich soll es möglichst bald aus dem Labor in die Produktion gehen. Das ist unser gemeinsames Ziel“, sagt Prof. Dr. Becker. „Auf dass sich die Technologie in wenigen Jahren für die industrielle Produktion eignet und einen Beitrag zur Energiewende leisten kann.“