Plagiate sind ein Problem für die Wissenschaft

Prof. Dr. Debora Weber-Wulff wird von Medien gerne als DIE Plagiatsjägerin schlechthin bezeichnet. Ihr Name ist mit der Aufdeckung von Plagiaten verbunden, die für Schlagzeilen gesorgt haben, beispielsweise im Fall Karl-Theodor zu Guttenberg, obwohl sie gerade in diesem Fall wenig zur Dokumentation beigetragen hatte, aber den Medien die Zusammenhänge erklärte. Dem ehemaligen Verteidigungsminister war 2011 der Doktorgrad aberkannt worden, nachdem in seiner Dissertation zahlreiche Plagiate festgestellt worden waren. Die Informatikprofessorin der HTW Berlin forscht und publiziert seit vielen Jahren zu dem Thema. Sie veranstaltet auch Workshops und Weiterbildungen, bei denen sie Studierende, Lehrkräfte und Wissenschaftler*innen dafür sensibilisiert, dass und warum Plagiate gegen eine gute wissenschaftliche Praxis verstoßen. Anlässlich des Welttags des geistigen Eigentums am 26. April spricht Prof. Dr. Weber-Wulff im Interview darüber, warum sie bis heute nicht müde wird, sich mit Plagiaten zu beschäftigen und warum diese ein ernstes Problem für die Wissenschaft sind.

Sind sie noch immer auf der Jagd?

Prof. Dr. Weber-Wulff: Jagd ist die falsche Bezeichnung. Ich jage keine Plagiate, ich dokumentiere sie. Und ich kläre über Plagiate auf. Denn Ehrlichkeit ist in der Wissenschaft ein hohes Gut. In einer wissenschaftlichen Arbeit muss immer klar sein, welcher Gedanke und welches Zitat von mir ist und was von anderen stammt.

Was genau ist ein Plagiat?

Alles, was wortgleich übernommen, in Auszügen zitiert oder irgendwie benutzt wird, ohne dass kenntlich gemacht wird, woher diese Erkenntnis, das Zitat oder der Gedankengang stammt. Das gilt auch für Zusammenfassungen oder Texte, in denen Sie paraphrasieren. Wer nach jedem Satz eine Fußnote setzt, bringt nämlich auch kein eigenes Gedankengut zu Papier. Als Faustregel gilt: Alles, was Sie recherchieren müssen, sollten Sie mit Quellenangaben belegen. Ihr eigenes Wissen sowie allgemeingültige Tatsachen sind nicht weiter zu belegen.

Wird noch viel plagiiert?

Oh ja, daran hat sich nichts geändert. Zwar hat im Zusammenhang mit dem Fall Guttenberg die ganze Republik über Plagiate diskutiert. Doch das war leider nicht nachhaltig. Und meine jetzigen Studierenden waren 2011 sowieso noch Kinder, sie erinnern sich nicht einmal mehr daran. Wenn, dann interessieren sich die Medien für die Doktorarbeiten von Politiker*innen, suchen also primär Skandale. Die Plagiate von Normalsterblichen wurden und werden am Rande abgehandelt, auch von der Wissenschaft, die auf eine Selbstreinigung hofft, die meines Erachtens nicht eintreten wird. Ich bin Mitglied des Netzwerks VroniPlag Wiki; gemeinsam haben wir seit 2011 Plagiate in 213 Hochschulschriften nachgewiesen. Dabei werden nur Verdachtsfällen nachgegangen und nicht alle 25.000 Arbeiten systematisch angeschaut, die jedes Jahr allein in Deutschland eingereicht werden. Ich werde im Mai 2022 bei der nächsten Tagung des European Network für Academic Integrity (ENAI) über einige Urteile berichten, die inzwischen ergangen sind. Damit habe ich mich in einem Forschungsprojekt im Sommersemester 2021 ausführlich beschäftigt.

Ist es einfacher oder schwerer geworden, Plagiate zu entdecken?

Es gibt inzwischen mehr Werkzeuge, um Plagiate zu finden, ja. Aber automatisiert geht es bis heute nicht, auch wenn viele sich das wünschen. Man muss die Arbeiten eben kritisch lesen. Das kostet Zeit und das machen die Leute nicht gerne. Viele wollen einfach die Spreu vom Weizen trennen, aber das schafft keine Software. Ich habe wirklich viele Systeme getestet. Sie finden einiges, aber längst nicht alles, und melden teilweise sogar ein Plagiat, wo gar keines vorliegt.

Wie gehen Studierende damit um?

Manche Studierende fragen mich allen Ernstes, wie viele Wörter sie ändern müssen, damit ihr Text kein Plagiat ist. Das ist die völlig falsche Herangehensweise. Auch wenn Sie einen Text eigenhändig umschreiben – so hat es übrigens Franziska Giffey, die heutige Regierende Bürgermeisterin von Berlin, in ihrer Dissertation an der FU teilweise gemacht, weshalb ihr der Doktorgrad entzogen wurde - bleibt es ein Plagiat. Ich versuche deshalb, Studierenden beizubringen, wie sie mit fremden Texten umzugehen haben. Viele beherrschen das tatsächlich nicht und haben es auch nicht in der Schule gelernt, obwohl es eigentlich bei allen Schulformen in der 9. Klasse im Lehrplan steht. Doch die Lehrkräfte sind ihrerseits oft nicht wirklich fit in der Materie, wie ich bei Weiterbildungen für sie gemerkt habe. Leider ist es mir trotz verschiedener Vorstöße bis heute nicht gelungen, eine Beratungsstelle im Land Berlin einzurichten, die Hochschulen inhaltlich, rechtlich und didaktisch über Plagiate berät. Denn das Problem haben ja alle Hochschulen.

Übrigens sind Plagiate kein Privileg von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und Studierenden, auch Professor*innen plagiieren. Deren Arbeiten gelangen dann in den Wissenschaftskreislauf und werden dort munter weiterverbreitet: ein ernstes Problem für die Wissenschaft. Dieses Problem entsteht auch dadurch, dass falsche Anreize gesetzt werden, weil Leistung nach der Anzahl der mit ISBN- oder ISSN-Nummern versehene Publikationen bemessen (und bezahlt) wird. Ich erinnere mich an einen Fall, bei dem sich sogar die Hochschule dagegen gewehrt hat, Plagiate in den Veröffentlichungen eines Wissenschaftlers aufzudecken, weil dieser viel publizierte und das Standing der Hochschule davon abhing.

Wie schaut es an der HTW Berlin aus?

Es hat ein Weilchen gedauert, aber heute bin ich mit meiner Hochschule relativ zufrieden. Man ist meiner Empfehlungen gefolgt und hat die Software „Urkund“ beschafft. Die Prüfung läuft über die Hochschulbibliothek, deren Mitarbeiterin versiert im Umgang mit dem Tool ist.  Ansonsten haben wir Vertrauen und prüfen nur bei Verdachtsfällen, wenn Professor*innen das wünschen. Aber auch hier gilt: Die Prüfung ergibt keine präzisen Hinweise auf alle Textbausteine, die ohne Quellenangabe genutzt wurden. Sie zeigt lediglich Stellen auf, an denen dies möglicherweise der Fall ist. Danach muss man genauer hinschauen. Die Arbeit geht dann also erst richtig los.

Was wünschen Sie sich?

Wir brauchen in Deutschland ein größeres Problembewusstsein, wie es beispielsweise in den USA oder in Australien längst verbreitet ist. An den dortigen Universitäten gibt es eigene Arbeitsstellen, die sich mit nichts Anderem als mit Plagiatsfällen beschäftigen. In der Bundesrepublik verschließt man die Augen vor dem Problem, reagiert nur und agiert nicht. Außer meiner Person gibt es gerade noch Kollegen in Weimar, Leipzig und Wuppertal in Deutschland, die sich wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigen. Und wir brauchen Kurse in jedem Studiengang, in denen schon die Erstsemester lernen - das sind allein an der HTW Berlin jedes Jahr 3.000 – wie man wissenschaftlich arbeitet. 

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