Auf der Suche nach den Hebelpunkten

Lehrveranstaltung

Die Studierenden von Prof. Pelin Celik bearbeiten die komplexen Fragen unserer Zeit: Wie stoppen wir den Klimawandel? Wie muss sich unsere Mobilität verändern? Wie beenden wir den Pflegenotstand? Doch dabei suchen sie nicht die eine Lösung – denn die schafft meist neue Probleme! Systemdesigner*innen suchen Hebelpunkte, deren Veränderung eine Kettenreaktion auslöst und auf diese Weise Prozesse erneuert. Mit ihrer Lehrveranstaltung „A2 Designprojekt“ des Masterstudiengangs System Design/Schwerpunkt Produkte & Prozesse, der im Sommer 2020 neu an der HTW Berlin eingeführt wurde, begleitete Prof. Pelin Celik diese Suche im Wintersemester 2020/21 erstmalig und wurde dafür prompt mit dem Preis für gute Lehre 2021 ausgezeichnet.

Exklusiv und intensiv

Für den Zugang zum Masterstudium müssen Interessierte zunächst einen Bewerbungsprozess durchlaufen und ein Exposé mit ihrer Projektidee einreichen. „Dafür bekommen sie mit der Zulassung die Chance, drei Semester kontinuierlich und konzentriert an ihrem eigenen Thema zu arbeiten, ohne dass Nebenprojekte gestemmt werden müssen. Das ist schon eine Besonderheit an der HTW Berlin“, erzählt Prof. Celik. So können die Masterstudierenden besonders tief in ihr Projekt eintauchen — eine Grundvoraussetzung für systemisches Denken. Denn hier liegt der erste Knackpunkt: Wer das Masterstudium beginnt, ist im Designprozess noch auf die Nutzenden und ihre Bedürfnisse fokussiert und denkt damit linear: Für jedes Problem eine Lösung. Systemisches Denken funktioniert anders und muss erst erlernt werden.

Das Problem mit der Avocado

„Systemdesigner*innen betrachten Probleme holistisch und denken verknüpft. Der Fokus liegt auf einem Gesamtsystem, den einzelnen Elementen und deren Interaktion“, erklärt Prof. Celik. „Ein gutes Beispiel dafür ist die Avocado: Was die Inhaltsstoffe angeht, ist sie eine tolle Lösung, um für Vegetarier Fleisch zu ersetzen“, führt Celik weiter aus. „Doch so eine linear gedachte Lösung verschiebt nur das Problem: Denn für vermeintlichen Klimaschutz möchten immer mehr Menschen Vegetarier werden und die Nachfrage von Avocados steigt stetig. Doch weil die Avocado eine Pflanze mit unheimlich viel Wasserbedarf ist, entsteht in anderen Ländern Wassermangel durch den Anbau. Dieser Wassermangel bedingt wieder weitere klimaschädliche Prozesse und so weiter. Diese und viele weitere Verknüpfungen und damit Auswirkungen auf andere Systeme denken Systemdesigner*innen mit.“ Im ersten Semester lernen die Studierenden diese Denkweise und passende systemische Methoden kennen.

Von der Theorie in die Praxis

Diese Art zu denken ist allerdings so komplex, dass eine theoretische Betrachtung nicht ausreicht, um sie zu vermitteln und um sie sich anzueignen. Im Modul von Prof. Celik muss das Wissen deshalb praktisch angewandt und dadurch vertieft werden. Prof. Celik setzt dabei auf Feldforschung und empfiehlt ihren Studierenden z.B. auf belebten öffentlichen Plätzen zu beobachten und nachzufragen oder Interviews mit wichtigen Stakeholdern zu führen. Auf diese Weise erarbeiten sich die Studierenden Stück für Stück ein tiefes Verständnis der Systeme, die in ihrem persönlichen Projekt eine Rolle spielen. „Das erzeugt nicht selten Frust, weil sich die Studierenden an bestimmten Punkten ihrer Recherche orientierungslos fühlen“, berichtet die Professorin. „Und genau dort sehe ich meine Rolle als Lehrperson: Ich berate, ermutige und fordere die Studierenden heraus, sodass sie eigenständig den Weg aus einer Sackgasse finden können und erkennen, dass sie nicht vor einer Wand, sondern vor einer Tür stehen, die geöffnet werden muss.“

Was wäre, wenn…?

Auch der eigene Perspektivwechsel hilft dabei, bis zu den Hebelpunkten eines Themas vorzudringen, die oftmals tief im menschlichen Verhalten oder den mentalen Modellen verankert sind. Zu diesem Zweck sollen Studierende einen Zeitungsartikel der Zukunft, vergleichbar mit einem großen Dossier wie beispielsweise in der ZEIT, sowohl grafisch als auch inhaltlich ausarbeiten. Sie versetzen sich dabei in die Rolle einer journalistisch tätigen Person, die zurückblickt auf die Umsetzung der Projektidee. „Die Studierenden prognostizieren so quasi den Verlauf ihres Vorhabens für die nächsten fünf oder sechs Jahre – nur eben aus einem anderen Blickwinkel.“, erklärt Celik. Das Storytelling hilft dabei, die Gedanken zu ordnen. Vorarbeiten aus dem ersten Semester, wie beispielsweise Interviews mit Stakeholdern, dürfen und sollen hier gerne mit einfließen. Präsentiert und diskutiert werden die Zeitungsartikel dann unter anderem auf einem gemeinsamen Miroboard.

Menschen treffen in Corona-Zeiten

Doch die Professorin betont, wie wichtig es ist, die Projektideen in andere Kontexte zu bringen, und mit Menschen außerhalb des eigenen Studiengangs zu sprechen: „Der Jahrgang, den ich im Wintersemester 2020/21 betreut habe, hatte den gesamten Master nur online absolviert. Vor dem Hintergrund der Kontaktbeschränkungen gab es wenig Möglichkeiten für Feldforschung und Feedback von außen.“, gibt Celik zu Bedenken. Um den Projektgruppen doch noch die Chance zu bieten, Ihre Ideen auf einer größeren Bühne präsentieren zu können, sollten sie daher ein internationales Online-Symposium organisieren. Zu diesem „International System(ic) Design Lab" waren z.B. die Partnerhochschulen aus Oslo, Nantes, Turin und Australien eingeladen. Die Zeitungsartikel der Zukunft bildeten auch hier die Basis, um über die Projekte zu sprechen. Zusätzlich gab es durch internationale Expert*innen viele neue Anregungen und Impulse. Celik erklärt: „Einerseits hilft das internationale Feedback den Gruppen neue Blickwinkel auf ihre Projekte kennenzulernen und führt damit weg vom linearen Denken hin zur systemischen Betrachtungsweise. Zudem ist das ganze Feld des System Design (engl. Systemic Design) noch sehr neu. Ein solches Symposium hilft den Studierenden die große Relevanz des Themas auf der einen und die eigene zukünftige Rolle in der Gesellschaft auf der anderen Seite besser zu verstehen.“

Wie geht es weiter?

Nach der positiven Resonanz der letzten Masterstudierenden, soll es auch für zukünftige Jahrgänge wieder ein Online-Symposium geben. Beim nächsten Mal möchte Celik aber die Studierenden stärker in den Fokus rücken: „Viele haben sich ein tiefgreifenderes Feedback für ihre Projekte gewünscht. Deshalb sollen sie beim nächsten Symposium noch mehr eigene Vorträge halten.“ Doch nicht nur für ihre Studierenden, auch für die HTW Berlin wünscht sich Prof. Pelin Celik eine bessere Vernetzung der vielen tollen Projekte, Fachbereiche und Menschen, die es hier gibt. Wir sind uns sicher, dass sie dafür die richtigen Hebelpunkte finden wird.

Beratung für Lehrende

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