Von der Dampflokfahrt bis zum Forum für die Fachwelt

Die wissenschaftliche Kompetenz und die Leidenschaft für das Thema gab es von Anbeginn; ansonsten waren die Aktivitäten des Berliner Zentrum Industriekultur (bzi) beim Start im Jahr 2011 noch überschaubar: die Webseite bot spärliche Informationen, das Team war klein und Projekte ließen sich an einer Hand abzählen. Das hat sich grundlegend geändert. Heute ist das bzi die Adresse für das Thema „Berliner Industriekultur“: mit zahlreichen Angeboten und Veranstaltungen, einem eigenen Newsletter, einer professionellen Webseite und einem gut vernetzten, fachlich kompetenten Team. Grund genug, um anlässlich des 10. Geburtstages ein Gespräch mit dem wissenschaftlichen Duo an der Spitze zu führen: Prof. Dr. Dorothee Haffner (HTW Berlin) und Prof. Joseph Hoppe (Stiftung Technikmuseum Berlin). Das bzi ist eine gemeinsame Einrichtung der HTW Berlin und der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin. Finanziell gefördert wird es von der Obersten Denkmalschutzbehörde Berlin, d.h. durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa.

Konnte man mit einem zehnjährigen Bestehen rechnen?

Prof. Dr. Haffner: Natürlich nicht. Wir hatten zwar dank einer Förderung durch Mittel der Europäischen Union einen guten Start. Doch danach musste sich das bzi über viele Jahre von einer Projektbewilligung zur nächsten kämpfen. Erst seit 2020 genießen wir eine vertraglich vereinbarte – und auch auskömmliche - Dauerfinanzierung. Die Mittel reichen für ein 13köpfiges Team, in dem allerdings nicht alle in Vollzeit arbeiten und zu dem auch studentische Hilfskräfte gehören, sowie für unsere vielfältigen Aktivitäten.

Was waren die wichtigsten Meilensteine?

Prof. Joseph Hoppe: Der erste Meilenstein war die Ausrichtung des „Berliner Forum für Industriekultur und Gesellschaft“ im Jahr 2012, also ein Jahr nach unserer Gründung. Bei dieser Veranstaltung versammelten wir zum ersten Mal alle Berliner Akteur_innen der Industriekultur an einem Tisch. Industriekultur war damals noch ein Spezialthema, mit dem sich wenige beschäftigten bzw. diejenigen, die das taten, kannten sich gegenseitig nicht.

Der nächste Meilenstein war die Verstetigung der Akteur_innen als Netzwerk, das heute „Schauplätze der Industriekultur“ heißt. Inzwischen ist das Berliner Netzwerk selbst mit jenen nationalen und internationalen Institutionen verknüpft, die sich mit Industriekultur beschäftigen. Anfangs haben wir eher davon profitiert, inzwischen geben wir auch viel zurück.

Ein weiterer Meilenstein war die Etablierung der Dachmarke „Industriekultur Berlin“. Unter dieser starken Marke laufen die Webseite, die Foren, andere Events, auch die sogenannten JuniorRouten, also die Angebote für Kinder und Jugendliche. Schon bei den Kleinen ein Bewusstsein für Industriekultur zu schaffen, ist ein wichtiges Anliegen des bzi.

Last but not least: Auch die Radrouten zu Highlights der Berliner Industriekultur sind ein Meilenstein. Insgesamt fünf Touren wird es bis Ende 2022 geben, dank der Förderung durch die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe.

Wie würden Sie heute das Profil des bzi beschreiben?

Unser Ziel war es immer, das Thema Industriekultur fachlich zu besetzen und in diesem Bereich als Kompetenzzentrum in Erscheinung zu treten, mit den beiden Säulen HTW Berlin sowie Stiftung Technikmuseum. Das ist gelungen. Zu unserem jährlichen Berliner „Forum für Industriekultur und Gesellschaft“ kommen heute nationale und internationale Fachleute, man darf es getrost einen festen Treffpunkt der Szene nennen. Wir greifen zukunftsweisende Themen auf und gewinnen stetig an Profil. 2021 geht es um „Industriekultur und Nachhaltigkeit“. Das Thema ist so neu, dass es nicht einfach ist, die Panels zu besetzen.

Wir betreiben auch Forschung und setzen dabei Maßstäbe im Bereich Digitale Industriearchäologie. Ein Beispiel dafür ist das „Gleisdreieck online“. Das bzi kann auf zahlreiche Publikationen verweisen. Außerdem bringen wir uns beratend bzw. moderierend in die Planung von Projekten ein. Das bzi wird gerne eingeschaltet, wenn Bauen und Denkmalschutz in einen Konflikt geraten. Wir übernehmen dann so eine Art Mediatorenrolle.

Dass das Thema Industriekultur auch touristisch schnell Anerkennung findet, hatten wir nicht erwartet, uns aber sehr darüber gefreut. Inzwischen ist visitBerlin eine wichtige Partnerinstitution für uns, mit der wir gerne zusammenarbeiten. Am Beispiel des Ruhrgebiets kann man die soziale Bedeutung von Industrie und Industriekultur gut erkennen und ihren Stellenwert für Identitäten und Emotionen. Das ist in Berlin etwas anders, aber nicht weniger wichtig.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Prof. Dr. Haffner: Ich freue mich, dass sich das bzi inhaltlich profiliert hat und alle relevanten Akteur_innen untereinander vernetzt. Auch die Verbindung zur Lehre ist geglückt; inzwischen entstehen immer wieder Abschlussarbeiten zu entsprechenden Themen an der HTW Berlin.

Prof. Hoppe: Wir haben ein tolles Team aufgebaut, dessen Qualifikationen perfekt passen. Bei uns gesellen sich Archäologie, Geschichte, Architektur, Regional- und Stadtplanung, Museumskunde, Kulturtourismus sowie Restaurierung/Grabungstechnik und Produktdesign zueinander. Alle sind unglaublich motiviert und digital affin, sodass wir während der Pandemie keinen Einbruch erlebten. Wir konnten sofort weiterarbeiten, auch dank der großartigen Unterstützung durch das Hochschulrechenzentrum der HTW Berlin. Überhaupt klappt die Zusammenarbeit zwischen dem bzi und seinen beiden Trägereinrichtungen, also dem Technikmuseum und der HTW Berlin, hervorragend.

Welche Angebote kommen besonders gut an?

Das Kinder- und Jugendprogramm ist ein Dauerbrenner. Bevor die Pandemie ausbrach, also in den Jahren 2018 und 2019, haben wir rund 2.400 Berliner Schüler_innen mit der Industriekultur in Kontakt gebracht. Höhepunkt waren zwei Dampflokfahrten mit etwa 500 Kindern. Unsere rund 100 kostenfreien Angebote verteilen sich über den gesamten Stadtraum und sind exakt in die Lehrpläne eingefädelt. Denn Schulen brauchen ein Komplettpaket, das wissen wir. Besonders beliebt sind die Stadterkundungen für die Grundschulklassen und dann speziellere Programme für die Oberstufe in MINT-Fächern.

Unser jährliches „Forum für Industriekultur und Gesellschaft“ ist ein fester Eintrag in vielen Terminkalendern. Und wir setzen auch auf die Fahrradrouten, die schon eine erstaunliche mediale Resonanz fanden, ehe die letzte überhaupt final ausgearbeitet war.

Was hat das bzi noch vor?

Wir planen eine eigene Schriftenreihe, in der 2021 die ersten beiden Publikationen erscheinen werden: zwei populärwissenschaftliche Broschüren über Schöneweide/Treptow-Köpenick sowie Spandau/Siemensstadt, als zwei herausgehobene Quartiere und Regionen der Industriekultur. Und wir wollen uns stärker mit den Akteur_innen der Industriekultur in Brandenburg vernetzen. Das wird nicht nur politisch erwartet, sondern trägt auch der historischen Entwicklung Rechnung. Berlin wäre schließlich industriegeschichtlich ohne sein Umland nichts geworden.

Wie wird eigentlich gefeiert?

Eigentlich wollten wir mit allen eine Dampflokfahrt machen, doch da macht uns die Pandemie einen Strich durch die Rechnung. Wenn möglich, feiern wir im Umfeld des nächsten Forums für Industriekultur und Gesellschaft am 26. November 2021.

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