Trainieren wie die Profis und Start-Ups als Partner

Zum Spiel von Borussia Mönchengladbach können Fans ein Hotelzimmer im Borussia-Park buchen. Borussia Dortmund bietet Vereinsaktien und in der Gifhorner Helios Klinik verbreitet ein Spielzimmer des VfL Wolfsburg Stadionatmosphäre im Mini-Format. Drei Beispiele, die zeigen, dass die Proficlubs der Bundesliga längst mehr sind als Fußballvereine, in deren Stadien "nur der Ball rollt". Es sind vielmehr mittelständische Unternehmen, die ihr Portfolio stetig erweitern und dies mit immer größerer Professionalität in Kooperation mit zahlreichen Partnern tun. Prof. Dr. Julian Kawohl, Experte für Strategisches Management, hat die Clubs mit verschiedenen Ko-Autoren schon in mehreren Studien unter die Lupe genommen. Die letzten Untersuchungen widmeten sich „Digitalen Innovationen, Geschäftsmodellen und Ökosystemen“ sowie dem Thema „Business-Ökosysteme in der Fußballbundesliga“. Welche Entwicklungen zu beobachten sind, berichtet der Wissenschaftler und Fußballfan im Interview. 

Was interessiert Sie als Ökonom an der Fußball-Bundesliga?

Ich bin tatsächlich selbst Fußballfan – mein Cousin spielte beim 1. FC Bayern München und hat mich als Kind bestens mit Autogrammkarten versorgt - , sehe aber auch, dass der Profisport heute ein relevanter Wirtschaftszweig ist und mit fünf Milliarden Euro Jahresumsatz größer als so mancher Nischenmarkt. Die Business-Seite der Clubs ist also ökonomisch relevant. Die Branche bietet außerdem Arbeitsplätze für HTW-Absolvent_innen, öffnet sich für Innovationen und es gibt einen echten Wissenstransfer zwischen den Clubs und Unternehmen. Diese Entwicklungen nehme ich als Wissenschaftler in den Blick. Damit bin ich aber beileibe nicht der einzige. Es gibt in Deutschland mehrere Business-Lehrstühle, die sich mit dem Thema Profisport beschäftigen, allen voran an der privaten WHU – Otto Beisheim School of Management.

Wie gingen Sie bei Ihren Untersuchungen vor?

Wir haben strukturierte Interviews geführt und die jeweilige Geschäftsführung bzw. die fachlich Verantwortlichen gefragt, wie sie den Herausforderungen der Digitalisierung begegnen und ihre Geschäftsmodelle anpassen. Wir haben uns die Kommunikationskanäle und Interaktionsformate der Proficlubs angeschaut. In der jüngsten Studie haben wir speziell die Aktivitäten in den vereinseigenen Ökosystemen untersucht. Das heißt: Wir sind der Frage nachgegangen, wie gut bzw. erfolgreich die Clubs ihre Angebote an den Lebenswelten der Fans ausrichten und ihr Portfolio mit Partnern dementsprechend weiterentwickeln, vom Entertainment über Mobilität bis zu Konsum und Erholung. 

Das Konzept der „Ökosysteme“ müssen Sie erklären!

Von einem Ökosystem im wirtschaftlichen Sinne spricht man, wenn ein Akteur in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Partnern mehr Leistungen anbietet, als er alleine auf die Beine stellen könnte. Nehmen Sie als Beispiel Ihre Tageszeitung, die auch Reisen organisiert, ausgewählte Weine liefert, Buchreihen herausgibt und über einen eigenen Shop mit Geschenken verfügt. Dieser Trend ist überall zu beobachten. Ich persönlich bin sogar überzeugt, dass den Business-Ökosystemen in allen Wirtschaftsbereichen die Zukunft gehört. Deshalb habe ich mit dem sogenannten Ecosystemizer eine Management-Methode entwickelt, um die Leistungen sinnvoll zuordnen und die Branchen vergleichen zu können. Herausgekommen sind insgesamt zehn Kategorien oder Lebensbereiche, vom Entertainment über Bildung bis zu Konsum und Arbeit, und drei Positionierungsmöglichkeiten. Mit dieser Methode kann man Unternehmen genauso analysieren wie DAX-Konzerne, Kleinstunternehmen oder eben Proficlubs.

Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?

Man würde ja vermuten, dass Proficlubs in ihrem Kerngeschäft unterwegs sind, also im Bereich „Entertainment“. Das stimmt auch. Aber sie öffnen sich zunehmend nach Außen und entwickeln in Kooperation mit Partnern neue Angebote, insbesondere solche mit digitalen Schnittstellen. Wir haben Aktivitäten in bis zu acht verschiedenen Lebensbereichen identifiziert: Transfermöglichkeiten zum Stadion, Reiseangebote inklusive Stadionbesuch, virtuelle Erlebniswelten, die das Publikum unabhängig von den Spieltagen besuchen kann, Handy-Verträge etc. etc. Interessant ist, dass dabei auch mit Startups zusammengearbeitet wird oder innovative Formate wie Hackdays und dergleichen genutzt werden. Der FC Schalke 04 lud beispielsweise Programmierer zum Pitch ein, um die digitale Fan-Experience zu verbessern. An der besten Idee wurde weitergearbeitet. Genauso machen es Unternehmen auch in vielen anderen Branchen. 

Warum entwickeln Proficlubs neue Geschäftsmodelle?

Sie wollen zum einen ihre Fans an sich binden. Aber sie wollen auch neue Erlöse erzielen und sich in digitaler Hinsicht erfolgreich für die Zukunft aufstellen. Denn die Clubs haben in der Pandemie gemerkt, dass Einnahmen schnell wegbrechen, wenn nicht gespielt wird. Also müssen die Geschäftsmodelle weiterentwickelt werden. Was bringen die Proficlubs mit zur Ökosystem-Party, wie ich es gerne flapsig formuliere? Vor allem Reichweite in Form von Millionen Fans, aber auch sportliches Know-how, das sich vielfältig nutzen lässt, um neue Marktchancen zu erschließen. Warum nicht eine Fitness-App anbieten, die sich an das Spielertraining anlehnt? Oder eine App mit Rezepten direkt vom Teamkoch? Oder ein eigenes Internat für den Fußballnachwuchs bzw. Fußballschulen mit Schnupperkursen unter der eigenen Marke? Wir zeigen in unseren Studien eine Reihe von Optionen auf.

Wo stehen die deutschen Vereine im europäischen Vergleich?

Die Bundesligavereine liegen nur knapp hinter den europäischen Benchmarks FC Barcelona, Real Madrid und Manchester United. Die wichtigsten Themenfelder werden in Deutschland besetzt. Nehmen Sie beispielsweise den Bereich Arbeit: Der 1. FSV Mainz 05 bietet eine digitale Jobbörse, Borussia Mönchengladbach hat eine digitale B2B-Plattform, die Unternehmen zusammenbringt, der 1. FC Bayern München hat das Konzept seiner Fan-Plattform als Service an den 1. FC Basel verkauft. Aber es gibt auch Unterschiede. Die beiden großen spanischen Clubs, also Real Madrid und der FC Barcelona, sind definitiv führend im Bereich Bildung. Sie bieten ihre Management-Inhalte bereits auf einer Online-Plattform an und machen hier sogar traditionellen Executive Education Dienstleistern Konkurrenz. 

Welche deutschen Clubs sind besonders innovativ?

Überrascht waren wir vom VfL Wolfsburg, dessen vielfältiges Engagement sicher auch von dem Unternehmen Volkswagen inspiriert wird, mit dem der Club eng verwoben ist. Zu erwarten war die Führungsrolle der Vereine FC Bayern München, Borussia Dortmund, Schalke 04 und 1. FC Köln. Die Kölner bieten beispielsweise eine virtuelle Fanwelt an, die sie gemeinsam mit über 3.000 Fans entwickelt und getestet haben.  Grundsätzlich ist viel Dynamik im Bereich der Digitalisierung zu beobachten, allerdings wird vieles angekündigt und nicht alles realisiert. Gerade für die Digitalisierung brauchen die Clubs die entsprechende Manpower. Wie sie die beschaffen, also das Thema „Human Resources“, steht als Nächstes auf meiner Agenda.

Weiterführende Links

Die Webseiten von Prof. Dr. Julian Kawohl

Download der aktuellen Studie von Prof. Dr. Kawohl