Kleines Gerät mit großer Wirkung

Röhre

Ein wichtiges Puzzleteil hin zu einer modernen Energieversorgung liegt in den Händen von Prof. Dr.-Ing. Thomas Gräf. Es ist schwarz und etwas größer als eine Tic-Tac-Schachtel. Auf den ersten Blick erschließt sich einem Laien nicht, was Gräfs Erfindung bewirkt. Dafür muss man zunächst verstehen, wie die deutsche Energiewirtschaft funktioniert.

Energieversorgung in der Bundesrepublik

Der Strom wird in Deutschland aus einem Energiemix gewonnen. Braun- und Steinkohle gehören genauso dazu wie Atomkraft und Erdgas, zunehmend aber auch erneuerbare Energien wie Windkraft, Biomasse und Photovoltaik. Damit der Strom von den Kraftwerken und Stromanlagen auf das gesamte Bundesgebiet verteilt werden kann, braucht man u.a. Schaltanlagen. In den Sammelschienen, die sich in den Schaltanlagen befinden, werden alle Stromleitungen miteinander verknüpft.

Das Problem

Deutschlands Stromnetz ist in die Jahre gekommen und nicht auf die Energiewende eingestellt. Ein Großteil der Infrastruktur stammt aus der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Wartung der Schaltanlagen gestaltet sich schwierig, weil die Geräte nicht im laufenden Betrieb überprüft werden können. Während die Anlagen von außen noch funktionstüchtig aussehen, können im Innern kritische Stellen wie Schaltkontakte durchbrennen oder gar explodieren. Dieses Problem tritt bei der regenerativen Energieerzeugung sogar verschärft auf: Durch die ungleichmäßige Auslastung — der Wind bläst nicht immer, die Sonne scheint nicht 24 Stunden am Tag — werden die Sicherungen in den Schaltanlagen deutlich mehr beansprucht. Zerstörte Sicherungen führen bei 40 Prozent der Windkraftanlagen innerhalb der ersten fünf Jahre zu einem Kurzschluss.

Die Lösung

Gräfs Erfindung setzt genau an diesem Problem an. „Ein guter Indikator für die Auslastung und den Zustand einer Anlage ist die Temperatur“,  erklärt der Professor für elektrische Anlagentechnik. Er hat deshalb einen Sensor entwickelt, der an der Stromschiene nachmontiert wird und mit dem sich Temperaturschwankungen messen lassen. Der Sensor sendet die Messdaten per Funk zur Auswertung an den Computer. So lässt sich jederzeit überprüfen, ob die Anlage optimal ausgelastet wird, ob sie noch mehr Leistung bringen könnte oder ob ihr ein Schaden droht. Der Temperaturunterschied zwischen der Gehäuseoberfläche — einer speziellen Aluminiumlegierung — und der Stromschiene liefert genügend elektrische Energie, damit sich das Messsystem selbst versorgen kann.

Patentierter Erfindergeist

Den Messsensor für das Online-Temperaturmonitoring hat Thomas Gräf inzwischen mit einem Patent schützen lassen. Unterstützung bekam er dabei vom Kooperationszentrum Wissenschaft-Praxis der HTW Berlin. Dass Gräfs Erfindung eine Überwachung während des laufenden Betriebs möglich macht und mit mehr Sicherheit für das Wartungspersonal einhergeht, überzeugt auch Unternehmen, die gealterte Schaltanlagen betreiben. So hat die HTW Berlin bereits zwei Firmenlizenzen erteilt. Im Zuge des bis 2030 anvisierten Netzausbaus wird der Bedarf an optimal ausgelasteten Schaltanlagen — und damit das Interesse an Gräfs Erfindung — sehr wahrscheinlich weiter steigen.