Den Nerd im Keller gibt’s nicht mehr

Verena Majuntke mit zwei Studierenden

Wie stellen Sie sich den Programmierer oder die Programmiererin von heute vor? Viele haben noch immer das Bild vom dünnen, blassen Jungen mit dicker Brille vor Augen, der im dunklen Keller einsam Code schreibt. Doch Prof. Dr. Verena Majuntke, Preisträgerin des Preises für gute Lehre 2021, weiß: „Den Nerd im Keller gibt’s nicht mehr!“ In der heutigen Zeit arbeiten Programmierer*innen in Teams, helfen und inspirieren sich gegenseitig. Kommunikation ist das A und O. Fehler machen ist ausdrücklich erlaubt, denn nur so entwickelt man guten Code, der gegen alle Tests besteht. Und genau darauf möchte die Professorin ihre Studierenden bestmöglich vorbereiten.

Ein schweres Fach mit guten Zukunftschancen

Prof. Majuntke unterrichtet mit „Grundlagen der Programmierung“ angehende Wirtschaftsinformatiker*innen, die aktuell besonders gute Berufsaussichten haben – gleichzeitig hat das Modul aber aufgrund des komplexen Themas auch eine der höchsten Durchfallquoten. Mit 120 bis 150 Studierenden ergibt sich automatisch ein hoher Grad an Heterogenität und damit die grundlegende Frage, wie alle ausreichend gefördert und gefordert werden können.

Corona als Innovationsmotor

Vor der Pandemie gab es eine klassische Vorlesung und viele interaktive Elemente, wie Quizzes, Programmieraufgaben und Diskussionsrunden in den dazugehörigen Übungen und Seminaren. Der Distanzunterricht erschwerte diese Interaktion mit den Studierenden allerdings erheblich. „Ich hatte schon länger darüber nachgedacht, wie ich meine Lehre ins Digitale übersetzen kann“, erzählt Prof. Majuntke. „Corona hat letztlich den Druck erzeugt, den es brauchte, um meine Ideen in die Tat umzusetzen.“ Also entwickelte sie neben dem laufenden Lehrbetrieb und ihrem Zweitjob als Mutter von zwei kleinen Kindern ihr spielbasiertes Flipped-Classroom-Konzept.

Ursprung der Idee

Doch wo fängt man da an? Zunächst einmal sind viele eigene Erfahrungen ins Konzept eingeflossen. Prof. Majuntke blickt zurück: „Mein eigenes Studium war insgesamt noch sehr analog, aber ich erinnere mich daran, dass ich die Dinge oft erst verstanden habe, wenn ich sie selbst erklären musste.“ Außerdem spielt sie sehr gern und hat darüber erkannt, wie motiviert man sein kann, wenn etwas Spaß macht. Zudem war es ihr wichtig, dass die Aufgaben nicht kurzfristig, sondern über das ganze Semester hinweg bearbeitet werden. Damit war die Grundidee geboren: ein Spiel, das sich in einzelne kleine Schritte gliedert und die aktive Mitwirkung der Studierenden erfordert.

Pirat*innen, Zombies und Superheld*innen erobern den Campus

Diese Idee setzte Prof. Majuntke über einen interaktiven Moodle-Kurs um. Jedes Semester steht unter einem ausgewählten Thema, wie Pirat*innen, Zombies oder Superheld*innen. Im Laufe des Semesters müssen die Studierenden einzelne Missionen (Kapitel) absolvieren, die aufeinander aufbauen und sie befähigen das Ziel des Spiels zu meistern: das Programmierprojekt. Zu Beginn des Semesters erschaffen die Studierenden ihre „Spielfigur“, indem sie einen Avatar samt Lebenslauf für ihr Moodle-Profil erfinden. Andere Avatare werden kommentiert. Ganz nebenbei machen sich die Studierenden so mit dem Semestermotto, der Kommunikation über das Moodle-Forum und ihren Kommiliton*innen vertraut.

Jede*r lernt anders

Gemäß Flipped-Classroom-Konzept lernen die Studierenden die Inhalte selbstverantwortlich und asynchron. Die Angebote dafür sind bewusst vielfältig und nehmen alle mit – unabhängig von Lerntyp oder Lernstand. Prof. Majuntke erzählt: „Etwa 40 Prozent nutzen die aufgezeichneten Vorlesungen zur Vorbereitung. Aber es gibt auch Studierende, die zum Beispiel lieber Skripte lesen und sich die Inhalte gemeinsam mit Kommiliton*innen erarbeiten möchten.“ Darüber hinaus arbeitet die Professorin viel mit Lehrbeauftragten zusammen, die meist selbst Entwickler*innen sind und ihr geballtes Wissen, unter anderem zum Thema „Wie sieht guter Code in der Praxis aus?“, gerne mit den Studierenden teilen. Seit Präsenz wieder möglich ist, gibt es auch noch Tutorien, Übungen und sogar eine klassische Theorie-Vorlesung zum Erlernen der Inhalte. Die Betreuung der Studierenden wird im Lehrenden-Team aufgeteilt über die Übungen realisiert.

Erfahrungspunkte sammeln

Mit interaktiven Quizzes und Lernpaketen wird das Erlernte in Moodle spielerisch abgefragt. Wie in echten Spielen, können die Studierenden zwischen verschiedenen Schwierigkeitsstufen wählen und sie erhalten Punkte für richtige Antworten. Wird eine bestimmte Mindestanzahl von diesen sogenannten „Erfahrungspunkten“ erreicht, steigen sie in das nächste Level auf und können frühzeitig neue Missionen beginnen. Darüber hinaus gibt es regelmäßig Extra-Aufgaben und „Entdeckungen“, in denen zusätzliches Wissen vermittelt wird, wenn Studierende den Stoff schon sicher beherrschen. Mit diesem System wird erreicht, dass jede*r Studierende gemäß des individuellen Lernstands ausreichend gefördert und gefordert wird.

Try – Error – Repeat

Der wesentliche Aspekt des Moduls ist natürlich das Programmieren. Neben der verpflichtenden praktischen Haupt-Vorlesung, in der ausschließlich live programmiert wird, erarbeiten die Studierenden regelmäßig eigene kleine Programmieraufgaben, die als semesterbegleitende Prüfungsleistungen gewertet werden. Aus eigener Erfahrung weiß Prof. Majuntke: „Beim Programmieren hilft es sehr, wenn man schnell Feedback bekommt. Deshalb habe ich in das ‚Virtual Programming Lab‘ in Moodle automatisierte Tests integriert.“ Studierende können ihre Programme in Moodle eigenständig testen und bekommen Hinweise, wenn etwas nicht richtig ist. Ist das Programm korrekt, erhalten Sie die volle Punktzahl. Wenn nicht, können sie sich schrittweise an die richtige Lösung herantasten, denn die Anzahl der Testläufe ist nicht begrenzt.

Eine*r für alle, alle für eine*n

Doch nicht nur in Moodle bekommen die Studierenden Feedback zum Programmieren. Ein weiterer wichtiger Baustein dafür sind die wöchentlichen Übungen. Sowohl Kommiliton*innen als auch die jeweilige Lehrperson geben Feedback zu den Programmieraufgaben. Dahinter stehen zwei Gedanken: Einerseits sollen die Studierenden erkennen, dass es nicht nur einen Lösungsweg für Programmier-Probleme gibt. Die Online-Durchführung der Kurse während der Lockdowns war dabei ein echter Gewinn: „In Präsenz arbeiten meist immer die gleichen Gruppen zusammen“, erzählt Prof. Majuntke. „Online hatte ich die Möglichkeit die Gruppen zufällig und dadurch immer unterschiedlich zusammenzustellen. So konnten noch mehr Arbeits- und Sichtweisen eingebracht werden.“ Andererseits sollen die Studierenden erkennen, dass ihre Mitstreiter*innen keine Konkurrenz, sondern ein erstes Programmiernetzwerk darstellen. Deshalb regt auch die Programmier-Vorlesung regelmäßig zum gemeinsamen Programmieren, dem sogenannten „Pair Programming“ an.

Highlight: Live-Coding-Sessions

Einmal im Semester wird ein echter Programmierprofi aus der Praxis eingeladen, der gemeinsam mit den Studierenden ein komplexes Problem löst und die Herangehensweise erklärt. Hierbei machen die Studierenden eine der wichtigsten Erfahrungen: Auch versierte Programmierer*innen machen Fehler! „Es gab schon Sessions, wo ein Profi mit dem Programm nicht fertig geworden ist oder wo es am Ende nicht funktioniert hat“, erzählt Prof. Majuntke. „Das nimmt Studierenden die Angst und macht ihnen klar: Jede*r hat irgendwann mal klein angefangen und kann trotzdem zum großen Programmierer oder zur großen Programmiererin werden!“

Beratung für Lehrende

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