Audiotranskription: "Bei den Inhalten mache ich keine Kompromisse."

Marcel Dux: Wir haben heute im Rahmen unseres HTW-Online-Campus die Möglichkeit mit Heike Joebges zu sprechen und so würde ich auch gleich schon in unser heutiges Gespräch starten. Die ersten vier Wochen sind im Corona-Semester der Online-Lehre herum. Was sind denn bisher so Ihre Erfahrungen oder Eindrücke, die Ihnen spontan dazu einfallen?

Heike Joebges: Mein Haupteindruck ist, dass es alles sehr viel Zeit kostet und an Stellen, die man nicht erwartet. Natürlich muss man sich überlegen, wie man seine Folien neugestaltet, wie man die vertextet und vertont und aufnimmt, aber was mich sehr stark überrascht hat ist, wieviel Zeit dann sozusagen noch für das Hochladen, für das Rendern von Videos eingeplant werden muss und dass man dadurch auch weniger selbst bestimmen kann oder selbst sozusagen dafür sorgen kann, dass alles rechtzeitig fertig wird. Das war das größte Problem zu Beginn für mich. Was wir jetzt im Gespräch mit Studierenden erfahren haben, weil wir gerade eine Feedbackrunde hatten, ist, dass die sich alle sehr überfordert fühlen. Die haben natürlich mit ähnlichen Problemen, wie wir zu kämpfen, also dieses Gefühl von Lagerkoller und eben eingeschränkt zu sein, aber die haben ein großes Problem, mit dieser neuen Situation zurecht zu kommen. Und das größte Problem bei denen ist die Selbstmotivation. Insofern glauben wir, dass diese Video-Meetings wichtig sind, damit sie einfach regelmäßig die anderen sehen, die Lehrenden sehen und einfach merken, dass sie weiter an dem Stoff dranbleiben müssen. Aber neben diesen Videos zur Selbstmotivation haben sie anscheinend auch ein großes Problem sich selbst zu organisieren. Deswegen müssen wir als Lehrende wahrscheinlich mehr darauf achten, dass alles sehr regelmäßig erfolgt. Bei diesen Befragungen zu Online-Lehre und den Problemen dazu, war ein Punkt immer wieder, dass es ohnehin schwierig ist für die Studierenden zu verfolgen, was sie wann, für welches Modul machen müssen und wo sie die Unterlagen finden. Je mehr sich also alle Lehrenden im Studiengang absprechen, die Unterlagen auf der gleichen Plattform haben, möglichst alle auf Moodle, je mehr sich auch die Studierenden auf regelmäßige Termine verlassen können und je mehr darauf geachtet wird, dass es Reminder gibt und dass es sozusagen auch grundsätzlich auch für die Bearbeitung der Aufgaben sehr regelmäßige Abläufe gibt, desto besser. Nichtsdestotrotz bin ich ein bisschen schockiert zu sehe, dass auch wir das Problem haben, was man insgesamt für Online-Lehre feststellt, dass die vielen Videos gar nicht unbedingt abgerufen werden und auch die Online-Tests werden kaum gemacht und so weiter.

Marcel Dux: Nun verfügen Sie ja bereits über Erfahrungen, beispielsweise bei der Bereitstellung dieser Tests im Rahmen von Präsenzveranstaltungen als Ergänzung. Wie kann man da vielleicht auch schon einen Unterschied darin sehen wie wird in Präsenzkombination zu Online damit gelernt?

Heike Joebges: Ja, mein Eindruck ist, dass die Online-Tests jetzt weniger genutzt werden. Vermutlich, weil man das Gefühl hat man kann diese aufgenommenen Videos ja dann auch noch mal kurz vor der Klausur sich angucken und dann den Test machen, wenn man sich ganz frisch dann auf die Prüfung dann vorbereitet, die ja diesmal dann keine Klausur sein wird. Also mein Gefühl ist, dass dieses Prokrastinieren jetzt noch mal schlimmer wird. Einfach weil die Videos ja verfügbar sind und man das Gefühl hat, die sind da, ich muss nicht darauf achten, dass ich gleich auch versuche die Vorlesung richtig verstanden zu haben und richtig aufgenommen zu haben, sondern ich kann mir das ganze ja da nochmal später angucken. Aber ich glaube, die Studierenden unterschätzen, dass dann einfach die Zeit vor den Prüfungen begrenzt ist und sie sich dann auch nicht 50-Stunden-Videos von allen möglichen Lehrveranstaltungen angucken können und dann auch noch die Tests machen können.

Marcel Dux: Wir hatten im Vorfeld ja darüber gesprochen, dass bei Ihnen in diesem Semester zwei Veranstaltungen mit besonderem Aufwand verbunden sind. Das eine, Sie haben ein Master-Thesis-Seminar, wo die Studierenden bei der Erstellung ihrer Masterarbeit begleitet werden und das andere ist eine englischsprachige Vorlesung „Macroeconomics“, wo es eigentlich eher, in Anführungszeichen, eine klassische Vorlesungssituation ist. Könnten Sie vielleicht, gerade mit Blick auf diese beiden Veranstaltungen, mal die Besonderheiten, wie die von Ihnen organisiert wurden, kurz beschreiben?

Heike Joebges: Ja, das eine ist eben die Betreuung der Abschlussarbeit. Das ist bei uns im Studiengang üblich, dass wir eben eigentlich das als Präsenzlehre veranstalten in einer Form, bei der die Studierenden das Exposé für ihre Abschlussarbeit vorstellen. Das haben wir mittlerweile sehr gut etabliert, dass es in einer Form läuft, dass die Studierenden selber dann 15 Minuten Zeit haben ihr Exposé vorzustellen, haben dafür auch natürlich Richtlinien, was da in diesem Exposé enthalten werden sollte. Das ist, dass sie kurz die Fragestellung motivieren, dann die Fragestellung noch mal klarer umreißen, dann erklären, wie sie die Fragestellung bearbeiten wollen und dann auch schon sagen können, was sie glauben, was vielleicht dabei rauskommt. Aber viel wichtiger ist, dass sie auch ganz ehrlich darauf hinweisen, was mögliche Probleme sind oder wo sie sich Feedback von den anderen erhoffen, weil das Seminar ja dazu dienen soll, einfach eine bessere Abschlussarbeit zu schreiben. Und in der Präsenzlehre war es dann auch immer so, dass dann auch die anderen an dem Beispiel lernen sollen, worauf Prüfer/Prüferinnen achten, indem sie dann selber sieben Minuten dieses Exposé kommentieren sollen. Also jede Person stellt ihr eigenes Exposé vor, kommentiert aber eben auch noch mal sieben Minuten lang das Exposé eines anderen, bevor wir dann in so eine gemeinsame Diskussion gehen. Natürlich bekommen die Studierenden dann auch nochmal sowohl schriftliches als auch mündliches Feedback von mir dann als Lehrender. Das hat sich sehr gut bewährt. Wir haben seitdem deutlich bessere Abschlussarbeiten im Bachelor und Master, sodass wir das jetzt auch nicht mit der Distanzlehre aufgeben wollten und haben jetzt versucht das eben auf die Distanzlehre zu übertragen und machen das in der Form, dass wie bisher, in Moodle nochmal Erläuterung stehen, wie schreibe ich ein Exposé aber auch Erläuterungen dazu wie ich einen konstruktiven Kommentar zu dem Exposé einer anderen Person abgebe. Weil sozusagen auch Studierende erstmal kommentieren lernen müssen und dann auch in Moodle die Exposés eingestellt werden müssen von den Studierenden eine Woche vorher, damit die Kommentierenden Zeit haben, sich das anzugucken. Ja und dann findet das, was normalerweise in Präsenzlehre stattfinden würde, dann einfach als Video-Meeting statt und da, mit den genau selben zeitlichen Vorgaben: immer 45 Minuten je Person, 15 Minuten Exposé-Vortrag, sieben Minuten Kommentar einer anderen Studentin oder eines Studenten, dann gemeinsame Diskussion, Beantworten von Problemen oder Vorschläge für Lösungsmöglichkeiten, Stärken, Schwächen herausarbeiten, konstruktives Feedback geben. Und das ist erstaunlich gut gelaufen, muss ich sagen. Also das war so, dass wir natürlich diesmal dann auch viel mehr Leute hatten, die dann noch passiv einfach teilgenommen haben, um sich das anzugucken. Das ist ziemlich gut gelaufen, dass wir eben das geschafft haben und dass ich das Gefühl hatte, dass auch das sowohl mit dem Präsentieren immer sehr gut geklappt hat, das haben wir dann über Zoom gemacht, als auch Feedback geben sehr gut geklappt hat und auch die Studierenden dann das Feedback gemeldet haben, dass ihnen das sehr viel geholfen hat. Das ist natürlich nicht das Einzige. Es gibt da noch mal Treffen für: wie zitiere ich richtig, wie kann ich Interviews einarbeiten und wie kann ich auch mit Daten umgehen oder Datenproblemen umgehen. Aber sozusagen dieser Hauptinhalt dieses Betreuungsseminars ist wirklich konkretes Feedback zu geben für die Forschungsfrage, die der Student, die Studentin hat.

Marcel Dux: Die ursprüngliche Idee war es ja, synchrone und asynchrone Lehrform gemeinsam miteinander zu denken. Bei dem Konzept, dass sie jetzt beschrieben haben, was für Komponenten sind denn bei Ihnen in Moodle zu diesem Thema abrufbar, beispielsweise, nutzen Sie Foren um dort noch Nachfragen zuzulassen oder um Feedbacks zu verteilen, gegebenenfalls für Personen, die nicht anwesend sind, wie muss man sich das vorstellen, wie diese beiden Stränge im Grunde bei Ihnen miteinander verwoben sind?

Heike Joebges: Eigentlich sind auf Moodle dann nur die vorbereitenden Unterlagen, Informationen zu den nächsten Video-Meetings, die PDFs für die Frage wie schreibe ich ein Exposé, das PDF für die Frage wie kommentiere ich das Exposé einer anderen Person in konstruktiver Weise aber auch noch mal so zu sagen grundsätzliche Unterlagen dazu, wie richtiges zitieren erfolgt und allgemeine Tipps für die Abschlussarbeit, wie wird die bewertet und solche Unterlagen. Aber sonst konzentriert es sich da sehr stark auf die synchrone Veranstaltung, wo dann alle wirklich per Video-Meeting vor Ort sind. Ich habe auch auf jeder Moodle-Seite ein Forum eingerichtet, aber das wird irgendwie weder in dem Modul noch in den anderen Modulen genutzt. Also ich habe es in dem einem Modul, da hat es so ein bisschen angefangen, dass Studierende dann immerhin mal zu Beginn eine Frage da eingestellt haben und ich dann auch das noch mal kommentiert hatte, was sie da besprochen hatten und danach, trotz mehrfacher Hinweise, ist es wieder eingeschlafen. Da habe ich vielleicht zu wenig darauf gedrängt, ich weiß es nicht, auf jeden Fall werden Foren nicht so sehr angenommen. Mit den anderen Modulen habe ich auch mehr als asynchrone Anteile, aber in dem Betreuungsseminar nicht so viele.

Marcel Dux: Mit wie vielen Teilnehmern ist es denn für Sie noch handhabbar ein so interaktives Format wirklich umzusetzen, wenn Sie das auch alleine machen müssen?

Heike Joebges: In Zoom finde ich es kein Problem, ehrlich gesagt. Also diese Betreuung der Abschlussarbeiten, da machen wir es sowieso so, dass wir die zwei Semesterwochenstunden, die vorgesehen sind, immer auf zwei Professoren Aufteilen, sodass sich dann auch noch mal die Gruppe der Studierenden auf zwei Personen aufteilt und dann bekommt man eben nur eine SWS angerechnet, aber das ist sozusagen dann sinnvoller, wenn das eine kleinere Gruppe ist. Ich habe jetzt nur 20 Studierende, von denen aber nicht alle wirklich ihre Abschlussarbeit dieses Semester schreiben. Insofern war das gut handhabbar. Die beiden anderen Veranstaltungen im ersten Semester vom Master Macroeconomics und International Economics, da sind es jeweils 50 Personen, aber da mache ich eben auch Video-Meetings mit allen, wo ich auch versuche so ein bisschen offene Diskussionen zuzulassen und habe das Gefühl, dass die Studierenden das auch gut finden, dass sie so eine Möglichkeit haben, sich da mal auszutauschen.
Wir haben schon eine Befragung gemacht und da kam auch heraus, dass sie das gut finden, dass sie die Möglichkeit haben und dass eher sozusagen kritisiert haben bei den Modulen, wo es das nicht gab, dass sie sich eben nicht nur aufgenommene Videos wünschen und die Literatur im Moodle und Online-Selftestes, sondern eben auch hauptsächlich sozusagen für die Motivation, für sich selbst das brauchen, dass sie in diesen Video-Meetings die anderen sehen und dann auch mal offene Fragen zugelassen werden und dann auch mal weiter diskutiert werden kann.

Marcel Dux: Sie arbeiten, soweit mir das bekannt ist, ja entsprechend mit, man nennt es in BigBlueButton „Breakout-Sessions mit Untergruppen“. Können Sie näher beschreiben für welche Einsatzbereiche sich das für Sie gut etabliert hat und wofür es bei Ihnen eher weniger funktioniert hat?

Heike Joebges: Ich setze das ganz gerne ein, weil wir im Master jetzt zwei Probleme haben. Also das ist ein interkultureller Master, die Leute kennen sich nicht, sie sind teilweise nicht alle vor Ort in Berlin und eigentlich ist das erste Semester das Semester, wo ganz viel Austausch stattfindet, ganz viel Gruppendynamik entsteht, die jetzt aber eben nur digital erfolgen kann. Insofern nutze ich die Breakout-Rooms auch ein bisschen dafür, dass sich Studierende überhaupt kennenlernen und merken, wer alles in diesem Studiengang ist, weil das natürlich in der normalen Lehrsituation, wenn da 50 Personen zugeschaltet sind und nicht alle ihr Video aufhaben, man gar nicht mit den anderen so normal kommunizieren kann. Also das ist sozusagen mehr der nicht-inhaltliche Aspekt, aber auch inhaltlich nutze ich es gerne. Ich stelle ja vorher Videos ein, die ich aufgenommen habe, die dann asynchron geguckt werden können. Aber von denen, also ich kann ja tracken, wer sich das angeguckt hat und das haben sich eben nicht 50 Personen angeguckt. Insofern ist das Problem, dass ich ja eigentlich, wenn ich die Lehrveranstaltung, also das Video-Meeting beginne, das Wissen voraussetzen muss, aber weiß, dass nicht alle dieses Wissen haben können, weil nicht alle das Video geguckt haben und auch nicht alle die Folien angesehen haben und insofern lohnt sich das, diese Breakout-Rooms auch so ein bisschen als Möglichkeit, meist direkt zu Beginn, um zu sagen: „Bitte sammeln Sie nochmal in der Gruppe, was Sie alles gelernt haben aus den Folien und was Ihnen so klar sein sollte oder auch von den Texten, damit wir dann noch mal kurz die wichtigsten Punkte dann gemeinsam besprechen können und dann aber die Anwendung machen.“ Weil meine der Lehrveranstaltung dieses Semester, versucht ja so ein bisschen die makroökonomischen Modelle und was sie für Krisenbewältigung sagen, dann auf Corona anzuwenden. Wenn die Leute gar nicht verstanden haben, was die makroökonomischen Modelle vorschlagen würden und was sie da so als Kritikpunkte haben, können sie natürlich auch die Anwendung dann in dem Video-Meeting ganz schlecht machen.

Marcel Dux: Könnte man sagen, dass dieses Einzelszenario eigentlich sogar besser ist als in Präsenz, weil dann im Präsenzunterricht ja genau dieses Abholen von Leuten, die auch dort die vorher bereitgestellten Material nicht angeschaut oder gelesen haben, eben doch noch mal so minimal mitgenommen werden durch Personen, die das eben gut vorbereitet haben?

Heike Joebges: Nein, besser würde ich leider nicht sagen. Also das wäre natürlich zu wünschen, aber meine Erfahrung ist, dass das sehr stark von den Leuten abhängt oder den technischen Möglichkeiten. Wir haben ja Personen, die in Lateinamerika noch sind, weil sie dann eben wegen Corona dann doch nicht nach Berlin gekommen sind oder nicht kommen konnten. Die sind dann natürlich aber noch todmüde, weil für die Lehrveranstaltung drei Uhr morgens beginnt und wir haben Personen, gerade aus dem mittleren Osten, mit sehr instabilem Internetzugang, die dann immer das Problem haben, dass sie nur abgehakt die anderen hören und auch selber nur abgehakt verständlich sind und das macht es dann für die kleinen Gruppen, in denen dann jemand mit schlechten Internetvoraussetzungen sitzt, relativ schwierig. Und eine andere Sache ist, was ich eben schon finde, normalerweise würde ich anstatt eines Breakout-Rooms das auch in der Lehrveranstaltung machen, dass ich die Studierenden bitten würde noch mal kurz Kleingruppen mit ihren Nachbarn kurz zu besprechen, was denn die wichtigsten Kriterien und Überlegungen aus den Modellen sind. Die Veranstaltung in der Lehrveranstaltung hat den Vorteil, dass man sich sieht und die Kommunikation dann einfach besser läuft, als wenn Studierende wegen Problemen mit dem Internet dann nur mit schwarzen Kacheln sichtbar sind. Also gerade interkulturelle Kommunikation ist ja relativ schwierig. Die Studierenden haben normalerweise ein Training, das sie auch mehr befähigt mit dem Problem interkultureller Kommunikation umzugehen, das ist dieses Semester dann alles weggefallen, das heißt sie kennen sich nicht und müssen dann mit anderen schwarzen Kacheln reden, weil sie die anderen nicht sehen. Das ist auf jeden Fall besser, als nichts zu haben. Ich finde es schon eine gute Möglichkeit, diese Breakout-Rooms, aber ich finde es ist kein Ersatz für physische Kommunikation in Präsenz.

Marcel Dux
: Gibt es denn zu den Themen, wie Sie es beschrieben haben, tatsächlich auch mal eine hitzige Diskussion in einem Online-Meeting oder ist es dann doch eher alles recht formalisiert?

Heike Joebges: Es wird schon intensiver diskutiert, aber nach meiner Einschätzung und das habe ich jetzt auch mit anderen besprochen, ist so eine richtig intensive Diskussion mit Pro und Contra, kommt über diese Video-Meetings nicht so stark zustande. Das ist ein Vorteil und Nachteil. Also als Lehrende kann man natürlich auch einfach mehr Stoff durchziehen, wenn man das möchte. Man hat ja in diesem Medium die Möglichkeit sehr autoritär seine Lehrveranstaltung durchzuziehen. Aber es ist sehr schade, also gerade in den Bereichen, also gerade im wirtschaftspolitischen Bereich, ist es ja so, dass es einfach sehr divergierende Ansichten gibt und eigentlich sollen die Studierenden ja auch lernen, dass man eben unterschiedliche Positionen haben kann und diese mit unterschiedlichen Modellen untermauern kann und sollen auch sehen, dass die Modelle eben nur begrenzt anwendbar sind auf die Realität und sollen diese Grenzen auch erkennen. Aber das wirklich so rauszukitzeln, ist online finde ich, sehr viel schwieriger. Auch weil Studierende eben aus der Sorge jemandem ins Wort zu fallen, sagen sie dann eher nichts, halten sich zurück und so richtig lebendige Diskussion finde ich kommen manchmal, aber sehr selten nur zustande und nicht in derselben Weise, wie in einer Lehrveranstaltung.

Marcel Dux: Es wird, wenn man sich mit dem Thema der Vorteile der Online-Lehre auseinander setzt gesagt, dass Personen, die nicht gerne in Erscheinung treten, weil sie vielleicht etwas zurückhaltender in ihrer Persönlichkeit sind, dort ein besseres Umfeld haben, wo sie beispielsweise über schriftliche Kommunikation oder über das Vermeiden, dass man die Kamera freischaltet, dann doch auch mal fundiertere Aussagen treffen kann. Gibt es Beobachtungen in dieser Richtung, das vielleicht Personen regelmäßig aktiv vielleicht im Chat dabei sind und sich ein guter Mix aus Gespräch und schriftlicher Form ergibt und da auch die ein oder andere Überraschung zutage kommt?

Heike Joebges: Bisher noch nicht, also ich habe eher das Gefühl, dass ich es normalerweise noch mehr schaffe, noch mehr zu aktivieren in einer Lehrveranstaltung, die jetzt gleich, weil es die Chatfunktion gibt, dann sich sofort auf diese Chatfunktion zurückziehen und das finde ich so ein bisschen schade. Es ist natürlich trotzdem gut, es sind dann oft sehr fundierte Kommentare, die man dann einfließen lassen kann, aber ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass es nicht mehr ist als sonst, sondern dass Personen, die man sonst vielleicht auch dazu bringen könnte, was mal in der Lehrveranstaltung zu sagen, dann leichter chatten. Aber was durchaus sein kann, also ich glaube, dass sich in den Breakout-Rooms, da ich da ja nicht dabei bin, da habe ich das Gefühl, dass es durchaus sein kann, dass sich da auch Leute viel stärker beteiligen, die sich sonst nicht beteiligen würden. Denn irgendwie kommen ja aus den ganzen Gruppen immer sehr gute Beiträge. Aber zusammengefasst wird es dann doch wieder von den Personen, die auch sonst keine Hemmungen hätten etwas zu sagen. Noch versuche ich nicht dann bei diesen interkulturellen Gruppen dann auch darauf zu drängen, dass jemand anders das mal zusammenfasst, weil ich da eben die Leute auch zu wenig kenne, um zu wissen, ob ich sie dann verschrecke oder ob das okay wäre.

Marcel Dux: Wenn es jetzt im weiteren Semester daran geht Prüfungen, beziehungsweise eben Leistungen abzufragen, abzuprüfen, wie sind denn Ihre Überlegungen, wie das Ganze von statten geht, immer mit diesem Spagat aus möglichst flexibel zu bleiben, gleichzeitig aber eine gewisse Mindestqualität abzusichern, was sind da so Ihre Herangehensweisen?

Heike Joebges: Ich fürchte, dass ich sozusagen einfach jetzt, ohne es zu wollen, die Studierenden mehr belastet habe, weil ich eben nicht Abstriche am Inhalt machen wollte. Dadurch nehme ich jetzt das, was ich eigentlich in einer Lehrveranstaltung erzählen würde immer auf. Die Videos sind dann schon kürzer als wenn ich selbst das in einer Lehrveranstaltung erzählt hätte und habe dann aber nochmal fast die volle Zeit für die Lehrveranstaltung, da was zu diskutieren. Das ist glaube ich okay, weil ich mitbekommen habe, dass die parallel stattfindenden Module eben weniger intensiv laufen, dass da eben nur was zu lesen ist also nur asynchron, insofern ist es sozusagen dann gegenseitig kompensiert. Aber es ist natürlich eigentlich durch die Hintertür, ohne dass ich das wollte, das lag einfach daran, dass ich keine inhaltlichen Abstriche machen wollte, habe ich jetzt die Studierenden ein bisschen gezwungen, mehr Zeit aufzuwenden, als ich es wahrscheinlich in einer Präsenzveranstaltung gemacht hätte. Aber bei den Prüfungen bin mir noch nicht sicher. Ich habe jetzt eine Leistung, eine Teilleistung ist, eine gemeinsame Gruppenpräsentation zu machen. Da muss ein akademisches Paper zu einem Thema aus dem Bereich Internationale Wirtschaftswissenschaften vorgestellt werden von Studierenden, in einer Form, die dann auch verständlich ist für die anderen und die zur Vorlesung passt und das, was sozusagen in den normalen Lehrbüchern steht, noch mal erweitert. Das ist immer eine große Herausforderung für diese interkulturellen Gruppen, weil sowohl die inhaltlichen Voraussetzungen sehr unterschiedlich sind, also die Qualität des Bachelors und welche Schwerpunkte man im Bachelor hatte, sind sehr unterschiedlich und gleichzeitig muss man dann damit noch umgehen, dass die Arbeitshaltung, Herangehensweise usw. interkulturell natürlich auch unterschiedlich ist. Bei uns ist dieses Element sehr wichtig, dass man mal interkulturell einen Vortrag gehalten hat. Deswegen habe ich das jetzt auch beibehalten, aber wegen der technischen Probleme habe ich sie jetzt gezwungen ein Video aufzunehmen, wo sie dann natürlich sozusagen gleich dann die große Problematik hatten, also sowohl technische Herausforderungen, sie müssen sich das beibringen, wie das geht, müssen Videos aufnehmen, sie müssen sich inhaltlich koordinieren, sie müssen eben auch dann interkulturell zusammenarbeiten, auch über verschiedene Zeitzonen häufig. Das hat aber bisher ausgesprochen gut geklappt, wenn ich jetzt nur das Endprodukt angucke. Ich fürchte nur, dass es mit einer sehr hohen psychosozialen Belastung der Studierenden einherging, weil natürlich auch diese Gruppen unterschiedlich gut funktioniert haben und dass es dann immer einzelne Personen gibt, die dann quasi das Video am Ende retten und dann eine große Last auch dabei tragen. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass es gut ist, dass sie in diesen Gruppen gezwungen sind zusammenzuarbeiten. Nicht nur um das interkulturelle Zusammenarbeiten zu lernen über digitale Medien, sondern auch um irgendwie mit anderen zusammenarbeiten zu müssen. Denn wir haben im Moment so ein bisschen das Problem, dass alle sehr isoliert vor sich hin studieren und eigentlich so ein bisschen soziale Kontakte aus dem Studium auch benötigen. Da habe ich das Gefühl, dass am Ende diese geforderte Qualität auch wirklich eingehalten werden konnte. Bei den Abschlussarbeiten bin ich mir noch nicht sicher. Ich habe jetzt normalerweise Klausuren, ich habe jetzt umgestellt auf Hausarbeiten und das wird natürlich schon zu einer anderen Art von Vorbereitung und lernen führen, also eben da nicht mehr so breit, dafür spezieller aufgestellt in einem Punkt. Ich glaube, dass es am Ende nicht so ist, dass die schlechter ausgebildet sind, aber eben schon anders, also sie werden dann eben nicht in der Breite sich wirklich alles angelesen haben und alles verstanden haben, sondern dann gezielter auf die Fragen, die sie dann für ihre Hausarbeit brauchen, hinarbeiten. Aber ich glaube, das ist gar nicht so falsch, weil wir festgestellt haben, dass viele oft im Bachelor, abhängig von der Hochschule, von der sie kommen und dem Land, aus dem sie kommen, nicht so viel selber schreiben mussten und jetzt dann gezwungen werden schon ab dem ersten Semester sehr viel Hausarbeiten und Assays zu verfassen. Das ist wahrscheinlich für deren Studienerfolg am Ende nicht schlechter, sondern vielleicht sogar besser. Das aber wird aber eine Menge Mehrarbeit werden.

Marcel Dux: Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass im Moment eine ganze Reihe Erfahrungen zum Thema Online-Lehre und eine ganze Reihe Materialien entstehen, wie würde denn Ihre Idealveranstaltung mit Perspektive auf das Wintersemester aussehen, wenn Sie die Gelegenheit hätten, Präsenz und Online vielleicht miteinander zu kombinieren, auf eine sinnvolle Art und Weise, die aber auch realistisch berücksichtigt, wie sich die Studierenden, ihre Meinung nach, im Moment gerade verhalten?

Heike Joebges: Also ich würde gern, ich wollte schon immer gerne dieses Inverted- Classroom-Konzept auch durchsetzen und ich glaube, das würde ich dann fürs Wintersemester auch anstreben, dass ich versuche mit Videos das aufzuzeichnen, was ich sonst sozusagen einfach an Input an die Studierenden weitergeben würde, also begleitend zur Literatur einfach noch mal die wichtigsten Sachen aufnehmen, kommentieren, sodass sie sich das vorher angucken können und dass wir dann in den wenigen Präsenzveranstaltungen wirklich nur noch über die Anwendung diskutieren. Es wird dann auch wieder das übliche Problem bei Inverted-Classroom-Veranstaltungen sein, dass man wirklich dann auch erzwingen muss, dass alle wissen, es lohnt sich nur hin zu gehen, wenn man vorbereitet ist, sonst kann man der Veranstaltung nicht folgen und da weiß ich noch nicht, ob ich das durchhalte, da nicht doch dann noch mal ein bisschen Inhalt nachzuliefern für diejenigen, die sich nicht vorbereitet haben. Aber wenn das klappt, kann ich mir das durchaus gut vorstellen.

Marcel Dux: Gibt es denn von seitens Ihrer Kollegen noch Hinweise oder Beobachtungen, was das Thema Umsetzung Online-Lehre angeht, wo Sie gesagt haben, da ist noch ein Konzept dabei oder da ist eine Idee, die finde ich selbst gut, die probiere ich vielleicht in diesem Semester noch aus? Einfach auch als Anregung, was Sie selbst sich so vielleicht noch vorstellen könnten.

Heike Joebges: Wir haben ja sehr regen Austausch, also wir haben eine WhatsApp-Gruppe zur Lehre, wir haben im Fachbereich 3 jeden Mittwoch treffen wir uns um sozusagen über unsere Probleme zu reden, wir schicken uns per Link dann immer Ideen zu, insofern habe ich dann wieder sehr viele Anregungen. Ich merke eher, dass das ein Zeitproblem ist, sie dann auch einzuarbeiten und umzusetzen. Aber was ich gerne noch besser können würde, wäre direkte Umfragen im Video-Meeting. Ich fand, dass es geht zwar im BBB und es geht auch in Zoom aber im BBB muss man das glaube ich ein bisschen vorbereiten. Also ich bin nicht schnell genug, um das so nebenbei zu machen und hätte da gerne noch Ideen, wie ich das sozusagen vorbereiten kann, um es dann auch direkt einfließen zu lassen, weil es eben doch, also gerade bei den Veranstaltungen mit 50 Studierenden ein Problem ist, dass natürlich einzelne sich immer sehr intensiv beteiligen, aber ein großer Rest eben ganz still ist und den zu aktivieren, da bin ich mir noch nicht sicher, inwieweit sie das überhaupt wünschen oder ob die ganz glücklich sind, dass sie eben auch einfach passiv dabei sein können. Aber ich würde trotzdem gerne mehr von denen wissen oder sozusagen auch ein Gefühl dafür bekommen, ob ich die jetzt verliere oder ob sie dabeibleiben. Teilweise sind es auch technische Probleme, die ich nicht kontrollieren kann, aber da, wo es keine technischen Probleme sind, würde ich natürlich gerne wissen, was sie glauben und was sie wissen, um nicht das Gefühl zu haben, dass ich mich nur nach denen ausrichte, die reden, bei denen ich auch die Gesichter sehe und sehe, ob die folgen können oder nicht.

Marcel Dux: An dieser Stelle kann ich sagen: vielen, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben! Ich habe gesprochen mit Frau Professor Joebges und hier konnten wir uns mal ganz real-live anschauen, was eben für Herausforderung gerade beim Thema der Synchronlehre entstehen. Ich bedanke mich für das Gespräch und kann auch schon sagen, dass genau zu diesem Thema der Umfragen auch wieder Webinare anstehen werden. Aber jetzt erstmal vielen, vielen Dank für die Mühen und ich bin gespannt, was dann im Wintersemester dabei dann am Ende noch übrigbleibt oder man noch besser gemacht hat.

Heike Joebges: Danke an Sie, Herr Dux!