Mehr Nachwuchs für eine Professur begeistern

Dass in vielen Branchen akuter Fachkräftemangel herrscht, ist kein Geheimnis. Weniger bekannt ist, dass sich auch Hochschulen immer schwerer tun, Professuren zu besetzen. „Noch gelingt uns das“, sagt Claas Cordes, der Kanzler der HTW Berlin. Doch weil die Bewerber*innenzahlen zu schwächeln beginnen und die Hochschule in den nächsten Jahren überdies einen Generationenwechsel bewältigen muss, hat sie das Projekt „TIEs“ initiiert. TIEs steht für „Talent Identification & Empowerment“. Bis 2028 sollen vielfältige Maßnahmen konzipiert und realisiert werden, um bei der Rekrutierung von Professor*innen strategisch besser aufgestellt zu sein. Was geplant und wer beteiligt ist, darüber gibt Andreas Wüthrich in einem Interview Auskunft. Gemeinsam mit dem Kanzler leitet er das Projekt. Es wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Bitte einige Kennzahlen, die das Projekt umreißen!

Andreas Wüthrich: Wir haben für das Projekt 6,5 Millionen Euro aus dem Förderprogramm „FH-Personal“ eingeworben. Acht neue Stellen sind geplant – dafür wird etwa die Hälfte des Geldes benötigt. Doch an TIEs wirkt de facto die ganze Hochschule mit, die Fachbereiche ebenso wie die Personalabteilung, das Lehrenden-Service-Center, das Kooperationszentrum Wissenschaft-Praxis etc. Insgesamt sind es etwa 20 Akteur*innen. Ihre Expertise und auch Unterstützung sind unverzichtbar, wenn wir diese große Herausforderung bis 2028 bewältigen wollen.

Warum ist das Projekt überhaupt nötig?

Noch gelingt es der HTW Berlin, Professor*innen zu gewinnen. Doch immer öfter sind Wiederholungsausschreibungen nötig. Außerdem kommen zu wenig Bewerbungen von Frauen und internationalen Wissenschaftler*innen. Das ist insofern ein Problem, als dass an der Hochschule bis 2030 rund 88 Professuren neu besetzt werden müssen, bis 2035 sogar 152, also die Hälfte aller Stellen. Die HTW Berlin muss in den nächsten Jahren einen Generationenumbruch bewältigen und sich deshalb strategisch besser aufstellen. Sonst wird es mittelfristig nicht mehr gelingen, den Studierenden gute Lehre zu bieten und innovative Forschung zu betreiben.

Welches Ziel wird verfolgt?

Wir wollen mehr qualifizierte Bewerber*innen für Professuren bekommen. Im Antrag wurde die Erwartungshaltung formuliert, die Zahl passender Bewerbungen im Vergleich zum Status Quo mindestens verdoppeln zu können. In den sogenannten MINT-Fächern – also in den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – soll mindestens ein Drittel der Bewerbungen von Frauen stammen. Ein weiteres Drittel soll aus einem internationalen Kontext kommen.

Bei all unseren Bemühungen haben wir immer sogenannte „Young Academic Professionals“ im Fokus. Das sind Absolvent*innen von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften oder Universitäten sowie Akademiker*innen mit bis zu fünf Jahren Berufserfahrung nach ihrem Studienabschluss. Sie sollen gezielt auf die Karriereoption „Professur an der HTW Berlin“ aufmerksam gemacht und/oder darauf vorbereitet werden.

Wie soll dieses Ziel erreicht werden?

Wir sehen Potenzial in vier großen Feldern: zum einen in den Bereichen strategisches und internationales Professurenmarketing, zum anderen in der engeren Bindung sowie in der gezielten Entwicklung von Kandidat*innen. Für jedes dieser vier Felder haben wir passende Ideen konzipiert. Insgesamt sind es 38 Maßnahmen, die eng ineinandergreifen.

Können Sie für jedes Feld ein Beispiel geben?

Gerne. Ich fange mit dem strategischen Professurenmarketing an. Wir wollen zuallererst die Anforderungen, die zu erfüllen sind, anschaulicher beschreiben, sodass sich Bewerber*innen besser angesprochen fühlen. Das mag trivial klingen, aber hier ist Luft nach oben. Weil es nicht bloß um Formulierungen geht, sondern das sogenannte „Denominationsmanagement“ eine ureigene und recht komplexe akademische Angelegenheit ist, werden wir sehr eng mit einem Fachbereich zusammenarbeiten und exemplarisch Verbesserungen entwickeln, also eine Art Template erstellen, das die anderen Fachbereiche in Zukunft nutzen können.

Punkt 2: Um uns auf internationaler Ebene stärker aufzustellen, werden wir gemeinsam mit Partnerhochschulen aus dem Kreis der Ostseeanrainerstaaten ein „Baltisches Netzwerk“ gründen. Es geht nicht nur, aber auch darum, die breitere technikwissenschaftliche Ausbildung in diesen Ländern speziell bei den Frauen zu berücksichtigen. Dabei interessieren uns Absolvent*innen sowohl mit Promotion als auch ohne Doktortitel.

Wer noch nicht promoviert hat – damit komme ich zum Punkt „Gezielte Entwicklung von Kandidat*innen – soll über die Wege zu einer Promotion und die damit verbundene Karriereoption besser informiert und bei ihrer Wahrnehmung praktisch unterstützt werden. Dafür wird es an der HTW Berlin einen neuen „Graduierten-Service“ geben. Auch der Aufbau einer Kandidat*innen-Akademie ist geplant.

Zuguterletzt wollen wir vielfältige persönliche Beziehungen zu den besagten Young Academic Professionals aufbauen und innovative Praktiker*innen durch Gastdozenturen enger an die Hochschule binden. 

Dies waren vier der insgesamt 38 Maßnahmen, die wie gesagt eng ineinandergreifen und in Summe zum Erfolg führen sollen.

Welche Argumente führen Sie für die Professur ins Feld?

Eine Professur ist eine attraktive Karriereoption. Sie bietet die Möglichkeit, eng mit innovativen Unternehmen zu kooperieren, angewandt zu forschen und dadurch gesellschaftlich relevante Prozesse in verschiedenen Disziplinen voranzutreiben. Für all dies sind die Voraussetzungen gerade am Standort Berlin exzellent. Die Professur an der HTW Berlin ist mit einer guten Infrastruktur ausgestattet und sie bietet biographische Planungssicherheit. All diese Pluspunkte wollen wir künftig besser vermitteln als das derzeit der Fall ist.

Haben andere Hochschulen ähnliche Probleme?

Definitiv ja. Das BMBF hat einschlägigen Bedarf gerade an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) erkannt und fördert bundesweit 98 HAW. Auch in Berlin sind wir nicht die einzige Einrichtung, die Fördermittel für die Entwicklung neuer Rekrutierungsstrategien bekommt. Doch die Tatsache, dass viele Hochschulen vor derselben Herausforderung stehen, heißt nicht, dass sie dieselben Antworten geben können. Der Antrag stellt nur den Rahmen dar. Jetzt muss - und kann - er mit viel Kreativität ausgefüllt werden. Ich glaube, TIEs hat den Zuschlag bekommen, weil wir uns interdisziplinär aufgestellt haben, ein komplexes Bündel an Maßnahmen geschnürt haben und die ganze Hochschule bei der Umsetzung zusammenwirken möchte.

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