Kastenfenster sind konkurrenzfähig

Sie gehören zum Berliner Altbau wie der Stuck, die Dielenfußböden und die hohen Räume: Kastenfenster. Doch die feinprofilierten Holzrahmen, die perfekt auf Fassade und Außenstuck zugeschnitten sind, fallen bei der Modernisierung regelmäßig meist Kunststofffenstern zum Opfer, weil die unter energetischen Gesichtspunkten angeblich besser abschneiden. Tun sie das wirklich? Prof. Dr.-Ing. Susanne Rexroth wollte es ganz genau wissen. Fünf Jahre lang hat die Architektin und Ingenieurwissenschaftlerin in Kooperation mit der TU Berlin verschiedene Fensterverglasungen unter die Lupe genommen, um herauszufinden, wie sie in punkto Nachhaltigkeit abschneiden. Das Fazit des HTW-Teams: Die Kastenfenster können in energetischer Hinsicht sehr gut mit anderen Verglasungen konkurrieren. Das Projekt wurde aus dem Berliner Programm für nachhaltige Entwicklung (BENE) mit Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) gefördert.

Denkmalschützer plädieren für den Erhalt

„Den Anstoß zum Forschungsprojekt gab die Oberste Denkmalschutzbehörde“, blickt Prof. Dr.-Ing. Rexroth zurück. Denn die Denkmalschützer waren - und sind - in Sorge um den Bestand an Kastenfenster, von denen es bei Projektbeginn in Berlin noch fast eine Million gab. Zu den Fachgebieten der HTW-Wissenschaftlerin passte die Fragestellung bestens. Denn sie widmet sich in ihrer Forschung seit vielen Jahren dem energieeffizienten Bauen, der energetischen Gebäudesanierung und der gebäudeintegrierten Solartechnologie.

Outdoor-Prüfstand hilft beim Vergleich

Wie vergleicht man Fensterverglasungen über einen so langen Zeitraum und unter völlig verschiedenen Bedingungen? Die Antwort auf diese Frage bekommt man in luftiger Höhe auf dem Dach von Gebäude F auf dem Campus Wilhelminenhof. Dort stehen insgesamt acht Holzkästen in Reih und Glied; man könnte sie auch für überdimensionierte Nisthilfen mit Panaromafenster halten. Tatsächlich aber handelt es sich um das ingenieurwissenschaftliche Herzstück des Forschungsprojekts. In jedem Messkörper befindet sich ein anderes Verglasungssystem, insgesamt acht an der Zahl, alle gleich aufgebaut und mit elektrischer Heizmatte ausgestattet, die im Winter für eine Innentemperatur von konstant 20 Grad sorgte. In Projektphase II wurden drei der Kästen gegen größere eingetauscht, mit einem realistischeren Verhältnis von Fensterfläche zu Fassade und Raumvolumen.

Messungen über viele Monate

Mit diesem Outdoor-Prüfstand ließ sich Vieles messen: der Heizenergieverbrauch im Winter, die Innentemperatur im Sommer, dies in allen Himmelsrichtungen sowie bei Sturm, Regen und Sonne. Letztere nennen Ingenieurwissenschaftler_innen übrigens „Globalstrahlung“, weil nicht nur das direkte Sonnenlicht ins Gewicht fällt, sondern auch die diffuse Strahlung. Hinzu kamen Messungen in der Doppelklimakammer der Hochschule sowie Simulationen. Mit den Messreihen und der Dokumentation der Ergebnisse hatten die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter Alexander Mertes und Konstantin Thurow gut zu tun. Die dabei entstandenen Zahlenreihen, Grafiken und Diagramme füllen viele Seiten der „Zusammenfassung der Energetischen Betrachtungen“, die inzwischen vorliegt.

Der Energieverbrauch ist geringer

Das Ergebnis ist klar, erfordert aber auch Differenzierung. „Wir konnten belegen, dass Kastenfenster einen geringeren Energieverbrauch als andere Verglasungssysteme aufweisen können“, resümiert Prof. Dr.-Ing. Rexroth. Das gelte vor allem für Kastenfenster, die mit Mehrfachisolierglas nachgerüstet wurden. Dieser Fenstertypus sei in energetischer Hinsicht also konkurrenzfähig zu Kunststofffenstern mit Isolierverglasung.

Aber es kommt auf die Ausrichtung an

Aber: Es kommt dabei auf die Ausrichtung der Fenster an und auf die physikalischen Randbedingungen wie Wind, Außentemperatur und Luftfeuchtigkeit. Vereinfacht gesagt: Je mehr Sonneneinstrahlung – im Bericht heißen sie solare Energiegewinne -, desto besser die Energiebilanz der Kastenfenster dank des räumlichen Puffers zwischen den beiden Fensterscheiben. Diese vom HTW-Team nunmehr empirisch belegte Tatsache wurde im sogenannten „U-Wert“, der gängigen Bewertungsgröße für den Wärmeschutz eines jeden Bauteils, für Kastenfenster bis dato nur unzureichend berücksichtigt. Ein echter Erkenntnisgewinn der langjährigen Messungen. Die Wetterdaten kamen übrigens von der HTW-eigenen Wetterstation auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses; nur die Sonneneinstrahlung wurde direkt an den Scheiben der Prüfkästen gemessen.

Die energetische Bewertung allein reicht nicht aus

Inhaltlich rund wird dieser groß angelegte „Fenstervergleich“, wenn sich zur energetischen Bewertung seitens der HTW Berlin die immobilien- und sozioökonomischen Ergebnisse der TU Berlin gesellen. Wie lange halten Fenster? Mit oft kann bzw. muss man sie warten, reparieren bzw. austauschen? Woher stammt das verwendete Material? Und nicht zuletzt: Wie zufrieden sind die Nutzer_innen? Bis Projektende im September 2022 soll ein Lifecycle-Assessment für die systematische Analyse von Umweltwirkungen und Energiebilanz der Fenster vorliegen. „Diese ganzheitliche Betrachtung gab es bis dato nicht“, ist Prof. Dr.-Ing. Rexroth zufrieden.

"Wir wollen ein neues Messkonzept entwickeln"

Die Wissenschaftlerin schaut aber auch schon in die Zukunft. Wenn alles klappt, geht das Projekt weiter. „Wir würden gerne ein Messkonzept entwickeln, das auch die bislang vernachlässigten solaren Energiegewinne berücksichtigt und sich letztlich vor Ort an Fenstern anwenden läßt“, sagt Prof. Dr.-Ing. Rexroth. Herauskommen könnte ein neuer U-Wert, der eine exaktere energetische Bewertung von Kastenfenstern ermöglicht. Die Messkästen auf dem Dach stünden schon bereit.

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