Mehr Photovoltaik auf die Dächer von Mietshäusern

Die Rechnung ist simpel: In Berlin stammt derzeit nur ein Prozent des Strombedarfs aus Photovoltaik (PV). Mit 28 Watt pro Einwohner_in sind deutlich weniger PV-Leistung installiert als im Bundesdurchschnitt mit 546 Watt. Bis 2050 sollen aus einem Prozent Solarstromanteil 25 Prozent werden, hat der Berliner Senat in seinem 2018 verabschiedeten Masterplan Solarcity festgeschrieben. Da klafft also eine gewaltige Lücke. „Jahr für Jahr muss ab sofort mehr Photovoltaik installiert werden“, sagt Bernhard Siegel, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter gemeinsam mit dem Energieexperten Prof. Dr. Volker Quaschning der HTW Berlin an den Empfehlungen für die Umsetzung des Masterplans mitgearbeitet hat.

Mehrfamilienhäuser stellen die Hälfte des Solarpotenzials

Doch wo soll der Solarstrom erzeugt werden? Auch auf den Dächern von Mehrfamilienhäusern, sagen die Expert_innen. Denn Mehrfamilienhäuser gibt es in der Hauptstadt besonders viele: Sie stellen sage und schreibe fast die Hälfte des Solarpotenzials und damit jeweils mehr als die Gewerbe-Immobilien, Ein- und Zweifamilienhäuser sowie öffentliche Gebäude. Wie man Mieter_innen einerseits sowie Immobilienbesitzer_innen und Hausverwaltungen andererseits für die Installation von Photovoltaik gewinnen kann, steht im Mittelpunkt des Forschungsprojekts „MieterstromPlus“. Bis März 2022 wollen die HTW Berlin und die HWR Berlin gemeinsam mit Kooperationspartnern Vorschläge entwickeln, wie die politischen Rahmenbedingungen für Photovoltaik in Städten verbessert werden können. Das Projekt wird vom Institut für angewandte Forschung Berlin (IFAF Berlin) finanziert.

Berliner Stadtwerke haben viele Anlagen realisiert

Mieterstrom bedeutet: Der lokal produzierte Solarstrom wird von den Mieter_innen eines Mehrfamilienhauses selbst verbraucht. Sauberer kann der Strom, kürzer der Transportweg nicht sein. Die Berliner Stadtwerke, Kooperationspartner im Projekt, haben zusammen mit öffentlich und privaten Wohnungsbauunternehmen, aber auch Genossenschaften und Eigentümergemeinschaften bereits 69 Mieterstromanlagen realisiert: in Pankow, Hellersdorf, Steglitz, Hohenschönhausen, Buch, Lichtenberg und Mitte. Immer nach dem gleichen Prinzip: Sie pachteten die Dachfläche vom Gebäudeeigentümer, richteten dort auf eigene Kosten eine Solarstromanlage ein und liefern den Strom an die Mietparteien. Falls nicht genug Solarstrom erzeugt wird, fließt Ökostrom aus dem Netz dazu. So weit, so gut.

Beide Seiten sollten profitieren

Dieses umweltfreundliche Geschäftsmodell funktioniert freilich nur, wenn erstens der/die Eigentümer_in mitspielt und zweitens die Mehrzahl der Parteien den auf dem Dach erzeugten Solarstrom tatsächlich auch bezieht. Für beide Seiten muss die Sache attraktiv sein, sagt Bernhard Siegel, der sich seit 2016 in der Forschungsgruppe Solarspeichersysteme der HTW Berlin mit Solarenergie beschäftigt. Wer allein mit der moralischen Verpflichtung argumentiere, die Energiewende unterstützen zu können bzw. zu müssen, käme nicht sehr weit. Deshalb hat das Projektteam die Interessen beider Seiten im Blick und lotet aus, welche Argumente überzeugen.

Was lockt die Eigentümer_innen?

Welche Vorteile würden Immobilienbesitzer_innen bzw. Hausverwaltungen locken? Diese Akteur_innen zögern oft, weil sie durch die Installation einer Solaranlage in rechtlicher Hinsicht zum Energieversorgungsunternehmen werden, mit allen dazugehörigen Pflichten wie EEG-Umlage, Umsatz- und Körperschaftssteuer. Übertragen sie die Errichtung der Anlage wiederum an Dritte, beispielsweise an die Berliner Stadtwerke, kann es sein, dass diese vertragliche Regelung im Grundbuch eingetragen wird. Schließlich will der Erbauer der Anlage auch nach einem Verkauf der Immobilie noch Zugang zum Dach haben. Vor diesem Grundbucheintrag scheuen manche Eigentümer_innen zurück, könnte er doch den Wert der Immobilie schmälern. In Einzelinterviews und einem voraussichtlich virtuellen Workshop will das Projektteam mehr über die Interessenlage der Klientel erfahren.

Welche Argumente überzeugen Mieter_innen?

Und welche Argumente könnten Mieter_innen überzeugen, ihren Stromanbieter zu wechseln und stattdessen den Strom vom eigenen Dach zu beziehen? Mitmachen müssen auf jeden Fall möglichst viele, andernfalls lohnt sich der Bau einer Solarstromanlage nicht. Weil die Beteiligungsquote bei Mieterstrom-Projekten derzeit schwankt, bleibt ein gewisses Risiko für denjenigen, der die Anlage errichtet – ein echter Hemmschuh für neue Projekte.

Der Aufklärungsbedarf ist noch groß

Bernhard Siegel fällt einiges zu dem Thema „Akzeptanz“ ein: ein verständlicher und transparenter Vertrag, dazu ein schönes Dienstleistungspaket, in dem vielleicht eine Steckdose für das Elektroauto enthalten ist, eine App, die den Stromverbrauch und die aktuelle Stromerzeugung auf dem Dach anzeigt, eine Orientierung des Stromtarifs nach der Sonnenscheinintensität etc. Das alles sind freilich nur Ideen. Weitere Erkenntnisse zu Motivation und Marketing für Mieterstrom erwartet man von der Auswertung der Befragung in Mehrfamilienhäusern in Kaulsdorf-Nord, die bereits Mieterstrom von den Berliner Stadtwerken beziehen. Für diesen Part zeichnet die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Dr. Andrea Rumler an der HWR Berlin verantwortlich. Sie wird von der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Julia Memmert unterstützt. Dass noch Aufklärungsbedarf besteht, ist schon klar. Auf die Frage „Könnten Sie einer anderen Person das Konzept Mieterstrom erklären?“ antwortete ein Drittel der Befragten mit „Nein“, die Hälfte mit „Teilweise“. Energie ist ein sehr komplexes Thema und nicht jede_r will sich tief in die Details reinknien.

Technische Aspekte im Fokus der HTW Berlin

Bernhard Siegel wird parallel Vorreiterquartiere mit funktionierenden Mieterstromprojekten analysieren und technische Aspekte unter die Lupe nehmen, beispielsweise das Verhältnis der Dachfläche zur Anzahl der Wohneinheiten beispielsweise. Oder die Art der Solaranlagen, die Gebäudetypen, ihre Nutzung und Geometrie. Dafür kann er unter anderem den Berliner Solaratlas mitsamt 3-D-Modell nutzen, in dem alle Dachflächen mitsamt Größe und Ausrichtung der Dachfläche verzeichnet sind. Keine schlechte Grundlage für die Zukunft. Eine Komponente fehlt nämlich im Masterplan Solarcity: Dass der Strombedarf mit jedem Elektroauto und jeder Wärmepumpe bis 2050 weiter steigen wird. „Vielleicht müssen wir doch noch eine Solaranlage auf jedes einzelne Dach packen“, sagt Bernhard Siegel. Er hat bis dahin auf jeden Fall einen sehr guten Überblick, welche Dächer dafür in Frage kommen.