Herren blieben eintönig, Damen zeigten Buntes

Kirchen und Kornspeicher, Schlösser und Schiffe: Historische Orte und Objekte des kulturellen Erbes stehen jedes Jahr im Fokus des Tags des offenen Denkmals. Auch die HTW Berlin besitzt einen besonderen Schatz, der zum kulturellen Erbe gehört: historische Stoffmusterbücher. Wir sprachen mit Prof. Dr. Dorothee Haffner aus dem Studiengang Museumskunde/Museologie (FB Gestaltung und Kultur). Sie erschließt die Dokumente mit Unterstützung von Studierenden und macht sie für die Öffentlichkeit digital zugänglich.

Frage: Was genau haben Sie da in den Händen?

Prof. Dr. Haffner: Insgesamt mehr als 50 Stoffmusterbücher aus dem Zeitraum um 1830 bis 1930. Wir fanden sie 2005 beim Auszug aus den früheren Räumlichkeiten der Hochschule in der Warschauer Straße. Seit 2012 beschäftige ich mich mit diesen Büchern.

Warum sind diese Dokumente heute interessant?

Prof. Dr. Haffner: Stoffmusterbücher sind eine wichtige Quelle für die Mode- und Wirtschaftsgeschichte. Sie gehören zum Gedächtnis eines Unternehmens, so wie die Firmenkorrespondenz, Rechnungen und andere Unterlagen. Es sind insofern relevante wirtschafts- und textilhistorische Archivalien. Wir erfahren, wo was produziert wurde und wo eingekauft, wie sich Produktionstechniken im Laufe der Zeit verändert haben und können Textilien auch mit Blick auf das gesellschaftliche Leben hin analysieren.

Wie gehen Sie bei der Erschließung vor?

Prof. Dr. Haffner: Zunächst wurden alle Bücher gescannt und dann jede einzelne Seite in unserer Datenbank erfasst. Wir notieren zum Beispiel die Herkunft der Bücher, die Art der Muster (gestreift, geblümt o.ä.) oder auch die Datierung, so wir sie kennen. Außerdem spielen Angaben zum Material und zur Technik eine Rolle. Bei einigen ausgewählten Büchern half uns die Laboringenieurin für Textile Werkstoffprüfung im Studiengang Bekleidungstechnik/Konfektion. Cornelia Golle zeigte uns, wie man mit einem Fadenzähler die Webtechnik bestimmt - im Fachjargon nennt man das Bindungsart - und durch die mikroskopische Analyse einzelner Fasern erkennen kann, um welches Material es sich handelt, also Wolle, Seide, Baumwolle o.ä.

Welche Erkenntnisse haben Sie schon gewonnen?

Prof. Dr. Haffner: Bei zwei Büchern konnten wir mittlerweile genau herausfinden, wozu sie dienten, übrigens unter anderem durch eine Bachelorarbeit. Diese Bücher enthalten zahlreiche Gewebeproben für Herrengarderobe. Zusammengestellt wurden sie von einem Berliner Unternehmen, das mit Geweben handelte. Beide Bücher sind präzise datiert. Das ältere Buch enthält Stoffe für fünf Saisons vom Winter 1864 bis zum Winter 1866, das jüngere Buch Stoffe für die Saisons Sommer 1870/71 bis Sommer 1871/72. Zu letzterem gehört außerdem ein Verzeichnis der Gewebehersteller, das die vielfältigen Handelsbeziehungen des Unternehmens zeigt. Die Hersteller stammten zum Teil aus dem näheren Umfeld wie Cottbus, aber auch aus England, Belgien und Frankreich.

Man kann in den Stoffmusterbüchern gut erkennen, dass sich die Farb- und Musterpalette bestens in die Bildquellen jener Zeit einfügt. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Herrenmode bei Tageskleidung und für Geschäftsleute sachlich, zurückhaltend und buchstäblich „eintöniger“. Ursache für diesen Wandel war zum einen die zunehmend standardisierte, industrielle Fertigung und die damit verbundene Technisierung der Prozesse in der Textil- und Bekleidungsherstellung. Zum anderen wurde von den Herren beruflicher, also wirtschaftlicher Erfolg erwartet, und der setzte ein seriöses Aussehen voraus, während die Frauen mit modischen Extravaganzen den Wohlstand der Ehemänner zu demonstrieren hatten.

Und dann sind da noch zwei besonders spannende Bücher?

Prof. Dr. Haffner: Dabei handelt es sich um zwei sogenannte Farbrezeptbücher von 1880, die derzeit im Rahmen von studentischen Projekten transkribiert und erschlossen werden. In Farbrezeptbüchern hielten Firmen die Rezepturen ihrer Stofffarben sowie deren Testfärbungen und -muster fest. Dabei wurden größtenteils rechteckige, einfarbige oder gemustert bedruckte Stoffabschnitte verwendet.

Eine große Herausforderung für die Studierenden ist es, mit den alten Handschriften zurecht zu kommen. Neben der lateinischen Schreibschrift, die sich ganz gut lesen lässt, gibt es zahlreiche Angaben in der deutschen Kurrentschrift, die nicht einfach zu entziffern ist. Außerdem war es schwierig, manche Bezeichnungen der Textilfarben zu verstehen. Hier halfen Fachlexika, aber auch das Wissen versierter Kolleginnen aus der Textil- und Modeforschung, beispielsweise aus dem netzwerk mode textil, dem ich angehöre. Im Laufe des Projektes haben wir alle einiges dazu gelernt!

Zu den Farbrezeptbüchern entsteht auch gerade eine Bachelorarbeit. Betreut wird sie von meiner Kollegin Monika Fuchs und mir. Die Studentin hat Bekleidungstechnik/Konfektion studiert und wird zum Wintersemester in den Masterstudiengang Museumsmanagement und –kommunikation wechseln. Ein - wie ich finde – sehr schönes Beispiel für die Interdisziplinarität, die im Fachbereich Gestaltung und Kultur möglich ist.

Weiterführende Links

Stoffmuster der Herrenmode der Gründerzeit

Mehr Informationen zu Prof. Dr. Dorothee Haffner

Links zu den Studiengängen