Exoskelett hilft Menschen beim Heben und Tragen

Sie entwickeln ihre Ideen zwar nicht in einer kalifornischen Garage, sondern in einem soliden Backsteingebäude am U-Bahnhof Osloer Straße, in dem die Beuth Hochschule für Technik einige Räume angemietet hat. Doch ein Hauch von Erfindergeist ist spürbar, wenn Yannis Hahnemann routiniert den ersten Prototypen des Exoskeletts anlegt, das Menschen beim Heben und Tragen schwerer Lasten unterstützen und dadurch das Risiko von Rückenleiden, Bandscheibenvorfällen und ähnlichen Beschwerden reduzieren soll. Genau das ist die Vision des Teams aus Professor_innen und wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen der HTW Berlin und der Beuth Hochschule für Technik.

Die Technologie sorgt immer wieder für Schlagzeilen

Mit finanzieller Förderung durch das Institut für Angewandte Forschung Berlin (IFAF) und in Kooperation mit Praxispartnern forschen die Wissenschaftler_innen in einem Feld, in dem es nicht nur innovativ, sondern auch sehr dynamisch zugeht. „Der Markt ist richtig in Bewegung“, sagt Yannis Hahnemann, der an der HTW Berlin sowohl seinen Bachelor- als auch seinen Masterabschluss im Studiengang Maschinenbau gemacht hat und nun bei Prof. Dr.-Ing. Sebastian Götz (FB 2) promovieren wird, sobald er eine passende Betreuung an einer Universität gefunden hat. Regelmäßig sorgen aufregende Anwendungsbeispiele von Exoskeletten für Schlagzeilen. Was in der Militärtechnologie begann, ist längst in der Reha-Technologie angekommen oder eben in der angewandten Forschung, wo daran getüftelt wird, wie schwere Arbeit menschenfreundlicher gestaltet werden kann.

Auch die Akzeptanz ist wichtig

Die Konkurrenz ist groß, weshalb sich das Projektteam nicht nur Gedanken über das Wirkungsprinzip und die Konstruktion seines Exoskeletts gemacht hat, sondern auch über dessen Funktionalität im Arbeitsalltag. Denn auch sie wird über die Akzeptanz des innovativen Hilfsmittels entscheiden. Gleich zu Projektbeginn wurden deshalb Gesundheitslotsen beim Projektpartner Berliner Stadtreinigung befragt, wo einige Beschäftigte noch immer schwer heben und tragen. Ein Exoskelett sollte möglichst klein, aber maximal flexibel sein und darf keinesfalls das Arbeitstempo einschränken, lässt sich das Fazit der Gespräche zusammenfassen. Eine richtige Arbeitsplatzanalyse steht zwar noch aus, doch die Botschaft war klar: „Gesundheit allein ist kein Argument in einer Arbeitswelt, in der Muskelkraft und die Bereitschaft anzupacken zählen und gleichzeitig auch Identität stiften“, hat Yannis Hahnemann verstanden. Kein Wunder, dass es auch Beispiele für fehlgeschlagene Einführungen von Exoskeletten gibt.

Die Heuschrecke diente als Vorbild

Im Projekt „EPI“ hat man diese sozialen Aspekte beim Design berücksichtigt. EPI steht für „Exoskelette nach dem Prinzip elastischer Insektenlokomotion“. Wie das Akronym erahnen lässt, nahm sich das Team die Fortbewegung (Lokomotion) von Insekten zum Vorbild, genauer gesagt: die der Heuschrecke. Deren Sprunggelenk ist zwar nur wenige Millimeter groß, doch die dort gespeicherte Energie versetzt den Gliederfüßler in die Lage, aus dem Stand locker das Dreißigfache der eigenen Körperlänge zu springen. Der Vermessung des Gelenks in einer Nano-Computertomographie folgten der 3D-Druck und dann die Konzeptphase. Die schließlich entstandene Konstruktion des Exoskeletts war in den Augen der zu Rate gezogenen Anwälte patentwürdig, auf die Rückmeldung des Patentamts warten sie derzeit noch.

Interdisziplinär zusammengesetztes Team

Der Pluspunkt des interdisziplinär zusammengesetzten Teams: Jeder und jede bringt unterschiedliche Kompetenzen ein, die sich hervorragend ergänzen. Der Part der HTW-Maschinenbauer Yannis Hahnemann und Prof. Dr.-Ing. Sebastian Götz sind Berechnungen und Simulationen. Seitens der Beuth Hochschule steuern die Promovend_innen Janine Kupfernagel und Johannes Zawatzki sowie die Professor_innen Prof. Dr.-Ing. Ivo Boblan und Prof. Dr. Astrid Haibel Know-how aus den Bereichen Humanoide Robotik, Physikalische Technik – Medizinphysik sowie Engineering-Design bei.

Der nächste Prototyp soll 2021 folgen

2021 will das Team einen deutlich verbesserten Prototypen entwickeln und die biomechanischen Effekte validieren, sprich: die Entlastung des Körpers durch das Exoskelett durch Simulationen auch berechnen. Mit den gegenwärtigen Methoden, bei denen die Muskelaktivität anhand von Aktionsströmen gemessen und graphisch dargestellt wird, wollen sie sich nicht begnügen. Dafür wird man auch Praktikant_innen sowie Studierende über Abschlussarbeiten einbinden und die Kontakte zu Sportwissenschaftler_innen ausbauen. 

Kompetente Partner aus der Wirtschaft

Projektpartner aus der Wirtschaft, die in jedem IFAF-Projekt eingebunden sind, um den Technologietransfer in die Praxis zu fördern, sind die Firma Carl Stahl, die in Europa als Marktführer in den Bereichen Heben, Fördern, Transportieren und Sichern von Lasten und Personen gilt, die Berliner Stadtreinigung, das Institut für Arbeitsschutz bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung und die Firma Xploraytion, die sich mit zerstörungsfreier 3D-Röntgenanalyse und Datenauswertung beschäftigt.

Perspektiven nach Projektende

Für die Entwicklung eines echten Modells und einer Vermarktungsstrategie wird es zeitlich wohl nicht reichen, meint Yannis Hahnemann. Doch vielleicht schreibt eine_r der Professor_innen einen Folgeantrag. Alternativ ist auch eine Gründung möglich oder die Verbindung mit einem professionellen Player der Branche. Die sind tatsächlich immer auf der Suche nach vielversprechenden Ideen.  

Weiterführender Link

Die Projektwebseite