Auf der Spur von heiklen Emissionen

Historische Vitrinenschränke im Depot des Museums für Naturkunde Berlin

Am gefährlichsten sind Ausstellungsvitrinen aus Holz. In denen geht es Exponaten besonders schlecht, denn je nach Holzart werden verschiedene organische Verbindungen wie beispielsweise Terpene, Aldehyde sowie Essig- und Ameisensäure abgegeben. Stücke, die sorgfältig verpackt im Depot schlummern – das betrifft übrigens 90 bis 95 Prozent der Bestände in Museen, Sammlungen und Archiven -, sind nicht unbedingt besser dran; ihnen machen oft die Lagerbedingungen oder die Verpackungen zu schaffen. „Wenn dann noch die Objekte selbst behandelt wurden, kann ein wahrer Cocktail an Verbindungen entstehen“, seufzt Prof. Dr. Alexandra Jeberien, Hochschullehrerin im Bachelor und Master-Studiengang Konservierung und Restaurierung der HTW Berlin. Sie hat den Schadstoffen, die wertvolle Kulturschätze bedrohen, den wissenschaftlichen Kampf angesagt. Es geht um hochkarätige archäologische Funde, technische Geräte, Präparate von ausgestorbenen Vögeln, Foto- und Filmmaterialien und vieles mehr. 

TU Berlin und Museum für Naturkunde als Partner

Seit Jahren entwickelt die Expertin für Präventive Konservierung einen etablierten Test weiter, der Auskunft gibt über die Emissionslast von Materialien in Vitrinen, Ausstellungsräumen, Depotschränken oder Verpackungen. In ihrem aktuellen Forschungsprojekt – es trägt den Namen MAT-CH 2.0 - soll dieser weiter entwickelte Test nun Marktreife erlangen. Bis Dezember 2021 will es die HTW-Wissenschaftlerin in Kooperation mit dem Institut für Hochfrequenz- und Halbleiter-Systemtechnologien der TU Berlin und dem Museum für Naturkunde sowie der Unterstützung durch zwei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und eine studentischen Hilfskraft geschafft haben. 

Derzeit sind Testergebnisse nicht vergleichbar

Der Test ist in Fachkreisen bestens bekannt. Der nach seinem Entwickler Andrew Oddy benannte Indikatortest nach Oddy – kurz: Oddy-Test - wird von vielen Museen, Sammlungen und Archiven genutzt. Das Verfahren ist relativ leicht anzuwenden und vergleichsweise günstig. Vereinfacht lässt es sich so beschreiben: Man gibt eine kleine Materialprobe zusammen mit wenig Wasser sowie einem Plättchen aus Silber, Kupfer und Blei in ein Reagenzglas, stellt dieses für einige Zeit in einen Trockenschrank und überprüft anschließend unter einem Mikroskop das Ausmaß der Reaktion an den Metallplättchen. Ist keine Korrosion zu erkennen, steht die Ampel auf Grün: Das beprobte Material kann verwendet werden. In den ungünstigeren Fällen zeichnet sich auf einem der Plättchen ein leichter Schleier ab (Ampel auf orange) oder es ist sogar eine auffällige Korrosion zu erkennen (Ampel auf rot). Allerdings werden derzeit weltweit bis zu zwanzig Variationen des Oddy-Tests angewendet, mit negativen Folgen für die Ergebnisse. Diese sind weder vergleich- noch reproduzierbar, auch ist die wissenschaftliche Aussagekraft stark eingeschränkt. 

Ein Patent wurde schon entwickelt

Eine der Schwachstellen des Oddy-Tests vermochte Prof. Dr. Alexandra Jeberien schon zu beheben: Der unpraktikable Silikonstopfen der Reagenzgläser wird inzwischen durch einen neuen Verschluss ersetzt. Auf den in Zusammenarbeit mit der in Adlershof ansässigen Glastechnischen Werkstatt Naskowski entwickelten neuen Behälter hält die HTW Berlin ein Europäisches Patent. Jetzt geht die Forscherin die nächsten beiden Schwachstellen an: die Metallindikatorplättchen und die Auswertungsmethode. 

Dünn beschichtete Plättchen statt Reinmetalle

Die aus den Reinmetallen Silber, Kupfer und Blei bestehenden Plättchen – das Herzstück des Tests – sind Prof. Dr. Jeberien schon lange ein Dorn im Auge. Sie können nur einmal benutzt werden, was unzeitgemäß ist: nicht nachhaltig, nicht effizient und zu teuer. Stattdessen sollen künftig dünnmetallisch beschichtete Keramikplättchen eingesetzt werden, und die HTW-Wissenschaftlerin ist glücklich, mit dem Institut für Hochfrequenz und Halbleiter-Systemtechnologie der TU Berlin einen perfekten Kooperationspartner gefunden zu haben. Zusammen mit Prof. Dr. Bernd Szyszka und seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Nivin Alktash – beide sind auf Dünnmetallbeschichtung spezialisiert -, gilt es herauszufinden, in welcher Stärke die Plättchen beschichtet werden müssen. Die an der TU Berlin hergestellten Prototypen sollen im Rahmen einer Bachelorarbeit im Labor des Studiengangs Belastungstests unterzogen werden.

Die Auswertung muss besser werden

Zuguterletzt steht die Verbesserung der Auswertung auf der Agenda: Die rein optische Einschätzung der Korrosion nach dem Ampel-Systems sei zu subjektiv und hänge zu sehr von den fachlichen Erfahrungen der Tester_innen ab, weiß sich Prof. Dr. Jeberien mit vielen Kritiker_innen einig. Nötig sei eine wissenschaftlich fundierte, objektive Auswertung.

Modellhafte Anwendung im Museum für Naturkunde

Sobald alle Schwachstellen behoben sind, geht der neue Test in die modellhafte Anwendung im Museum für Naturkunde. Das Haus ist ein bewährter Partner des Studiengangs Konservierung und Restaurierung. „Alte Verpackungen und Vitrinen gibt es dort in großer Anzahl“, sagt Prof. Dr. Jeberien. Das sei dem Museum bewusst, doch Kontrollmaßnahmen gegenüber Schadstoffen sollten konzeptionell erfolgen und brauchen daher Zeit. Hinzu kommt, dass der Oddy-Test lediglich Auskunft darüber gibt, ob Emissionen vorliegen, nicht aber, welche Verbindungen das sind und schon gar nicht, welche schädlichen Wechselwirkungen an den Objekten sie hervorrufen. An dieser Stelle findet aktuell noch Grundlagenforschung statt, zu der die Entwicklung geeigneter Testverfahren einen Beitrag leistet.

Der neue Test soll schneller und sicherer sein

Doch zurück zum Oddy-Test. Das weiterentwickelte Testverfahren MAT-CH soll zum Abschluss des Forschungsprojekts käuflich erworben werden können. Die vorbereitenden Recherchen und die Erstellung einer Marktstudie sind Aufgaben der zweiten wissenschaftlichen Mitarbeiterin, der Kunst- und Kulturwissenschaftlerin Aenne Chalhoub. Niedrigschwellig soll der Test bleiben, aber schneller und sicherer im Handling, wünscht sich Prof. Dr. Jeberien. Ihr schwebt eine Art modulares System vor, mit einer Basiseinheit und Verbrauchsmaterialien, die regelmäßig nachgekauft werden können. In der Grundanschaffung würde das Equipment vermutlich etwas teurer sein, dafür aber nachhaltiger. Einen Vertriebspartner muss sie dafür noch finden.  

Der Bedarf an Tests ist groß

Dass Bedarf besteht, weiß Prof. Dr. Jeberien, deren Weiterbildungen zum Oddy-Test in Fachkreisen bekannt sind. Sie bekommt viele Anfragen von Museen, Archiven oder auch Herstellern von Vitrinen, ob man das Equipment zur Verfügung stellen könne oder – besser noch – bitte gleich zum Test schreiten möge. 

Das Projekt MAT-CH 2.0 wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aus dem Programm WIPANO finanziell gefördert. WIPANO unterstützt Hochschulen bei der Identifizierung, der schutzrechtlichen Sicherung sowie der Vermarktung von Forschungsergebnissen. Ziel ist es, dass Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam Ideen entwickeln, eine Anwendung finden und diese erfolgreich auf den Markt bringen.