Der digitale Puppenbauer

Filmausschnitt aus "Ralph reichts" mit den Hauptfiguren Ralph und Vanellope

Rapunzels Haar kann alles: Es hat heilende Kräfte, kann als Flaschenzug oder Fessel genutzt werden, es glänzt und kann sogar leuchten!  Der Disney-Film "Rapunzel — neu verfönt" lässt keine Wünsche offen. Doch wie bekommt man es hin, dass alles so echt aussieht? Jan Berger weiß es. Er hat in den Walt Disney Animation Studios in Los Angeles gearbeitet, ehe er als Professor an die HTW Berlin kam. Als "Character Technical Director" hauchte er nicht nur Rapunzels Haaren Leben ein, sondern sorgte für den eisigen Wind in "Die Eiskönigin", ließ Vanellopes Zopf in "Ralph reichts" hüpfen und brachte den aufblasbaren Roboter "Baymax" in Form.

Das Haar ist eine Sinuskurve

Jan Berger ist studierter Diplom-Animator und begreift sich als digitaler Puppenbauer. Nur bringt er die Figuren nicht mit unsichtbaren Fäden dazu, sich zu bewegen, sondern mit sogenannten Rigs. Das Rigging liefert das 3D-Grundgerüst für die Animation aller Figuren und Dinge. Wichtig dabei ist es, das Wesentliche eines Modells zu erfassen, einen passenden visuellen Stil zu entwickeln und glaubhaft in Bewegung zu versetzen. „Bei Rapunzels Haaren entsteht die Dynamik in manchen Einstellungen dadurch, dass sich unzählige Sinuskurven überlagern", erklärt Jan Berger. "Das sieht man besonders gut in der Szene, in der Rapunzel ihr Haar aus dem Turm fallen lässt. Die Haare sind letztlich eine Vielzahl von Kurven."

Eine virtuelle Windmaschine für Anna und Elsa

An der Filmuniversität Babelsberg entwickelte Jan Berger eine innovative Character-System-Software, mit der sich die Rigs sogar noch während der Animationsphase verändern lassen. So wurde Disney auf ihn aufmerksam und holte ihn nach Los Angeles. Für "Die Eiskönigin" programmierte er zusammen mit einer Ingenieurin eine virtuelle Windmaschine. Sie ließ Prinzessin Annas Haare bei der Schlittenfahrt wehen und half, wenn ihre Schwester Elsa mit bloßen Händen Schneestürme erschuf. Dazu bedarf es sowohl ästhetisch-künstlerischer als auch technischer Kompetenzen.

Wie wippt eigentlich ein Pferdeschwanz?

Bei Disney war Jan Berger dafür verantwortlich, die Visionen des Regisseurs umzusetzen. Für "Ralph reichts" verlieh er dem Zopf der Protagonistin Vanallope von Schweetz den nötigen Schwung. Als Vorlage dafür dienten die Videoaufnahmen einer Balletttänzerin. Rigs zu programmieren, bedeutet aufwändige Detailarbeit. Täglich treffen sich die Teams mit dem Regisseur, um an den Einzelheiten zu feilen. Eine Einstellung bis zum perfekten Ergebnis zu bringen, kann schnell mal zwei Wochen dauern. Kein Wunder also, dass die Disney-Leute in der Hochphase eines Films schon mal bis zu 90 Stunden in der Woche arbeiten. Jan Berger blickt gern auf seine Zeit bei Disney zurück: die Zusammenarbeit mit Animationslegenden wie Glen Keane, die kreative Atmosphäre in den international zusammengesetzten Teams, den unmittelbaren Zugang zu Disneys historischem Erbe in der Animation Research Library.

Mit Baymax auf Höhenflug

Besonders gern erinnert sich Jan Berger an "Baymax", in dem er die Rigs für die beiden Hauptfiguren — den Jungen Hiro und den Roboter Baymax — entwickelte. "Hier konnte ich mit innovativen Technologien experimentieren. Projekte auf einem solch hohen Niveau können nur gelingen, wenn man sich als Team ergänzt und zusammen an einem Strang zieht." Eine Arbeit, die von Publikum und Kritikern gleichermaßen gewürdigt wurde: "Baymax" gehörte nicht nur zu den kommerziell erfolgreichsten Filmen des Jahres 2014, sondern wurde von der Visual Effects Society in der Kategorie "Outstanding Performance by an Animated Character in an Animated Motion Picture" ausgezeichnet und für einen Golden Globe nominiert. Er gewann sogar einen Oscar als bester Animationsfilm.

Als Professor zurück an die Hochschule

Trotzdem hat sich Jan Berger für ein Leben als Professor entschieden. "Die Freiräume, die Forschung und Lehre bieten, sind mit nichts aufzuwiegen", meint er. "Ich wollte wieder tiefer und vor allem selbstbestimmt in die Materie eintauchen, eigene Dinge entwickeln und Talente fördern, indem ich Methoden vermittle, damit diese ihre eigenen Ideen verwirklichen können." Seit 2017 lehrt und forscht Berger als Professor im Studiengang "Game Design" an der HTW Berlin. Er unterrichtet unter anderem 3D-Technik und Character Modeling. Die Studierenden lernen, wie aus Zeichnungen dreidimensionale, steuerbare Figuren werden. Freilich muss man an ein Spiel anders herangehen als an einen Film, denn der Spielverlauf ist immer ungewiss. Momentan arbeitet Jan Berger an der Entwicklung eines Rigging-Systems für Game Engines, das auf die spezifischen Anforderungen von Studierenden zugeschnitten ist. Das System möchte er dann Open Source zur Verfügung stellen.