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Verschimmelte Apfelsine

Im Supermarkt buhlen sie in Regalen und Kühltruhen um unsere Aufmerksamkeit: Pizza, Müsli, Cola und Co. Lebensmittel und andere Produkte sind nicht zufällig so verpackt, wie sie verpackt sind. Verpackungen sind Hygienebehälter, Werbefläche, Infotafel und Markenbotschafter in einem. Entworfen werden sie von Industriedesigner_innen. Die drei angehenden Industrial Designer_innen Anne Bansen, Aran Leptig und Tobias Härdtlein sind in der Kategorie “Nachwuchs” mit dem Deutschen Verpackungspreis 2017 ausgezeichnet worden. Anne Bansen verrät uns, wie man mit intelligenten Verpackungsmaterialien gegen Lebensmittelverschwendung vorgehen könnte.

Worin bestehen aus Ihrer Sicht die Herausforderungen und die besondere Faszination beim Entwerfen von Verpackungen?

Am Verpackungsdesign fasziniert mich vor allem die Frage, wie man mit möglichst wenigen Materialien einen größtmöglichen Effekt erzielen kann. Da wir ständig mit Verpackungen konfrontiert werden, entscheiden oft nur kurze Augenblicke darüber, ob wir uns mit einem Produkt weiter beschäftigen oder nicht. Die Verpackung trägt einen signifikanten Teil zu dieser Entscheidung bei.

Wie sind Sie speziell auf das Thema Haltbarkeit für Ihren Wettbewerbsbeitrag “Tast(e) Food” gekommen?

Das Konzept von “Tast(e) Food” entstand im Rahmen eines Projektes rund um den Themenkreis Save Food, Interkulturalität und Easy Handling. In Zusammenarbeit mit dem Folienhersteller WIPAK sollte eine Verpackung für frische Lebensmittel entwickelt werden. In der Recherchephase habe ich festgestellt, dass private Haushalte für ein Drittel der vermeidbaren Lebensmittelverschwendung verantwortlich sind. Verbraucher_innen entsorgen Lebensmittel unter anderem deshalb frühzeitig (und oft unnötig), weil das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) erreicht oder bereits überschritten ist. Viele Lebensmittel sind aber trotz Ablauf des MHD, das lediglich als Richtwert gedacht ist, noch genießbar. Also suchte ich nach Alternativen zum Mindesthaltbarkeitsdatum.

Und sind Sie fündig geworden?

Frische-Indikatoren, die ihre Farbe verändern, gibt es bereits. Diese basieren aber größtenteils auf Erfahrungswerten und reagieren nicht direkt auf das verpackte Lebensmittel. Andere, die auf das Lebensmittel reagieren, sind nicht intuitiv verständlich, haben beispielsweise für jedes Lebensmittel eine andere Farbkodierung. Ich wollte einen intuitiven Indikator entwickeln, der ohne Farbkodierung auskommt und für jeden verständlich ist, und zwar kultur- und altersübergreifend. Zufällig ist in meinem Obstkorb zu dieser Zeit eine Orange verschimmelt. Dadurch bin ich auf Schimmel als natürlichen Indikator für Ungenießbarkeit gekommen. Was ist Schimmel? Eine Farb- und Strukturveränderung der Oberfläche. Jeder Mensch weiß sofort, dieses Lebensmittel ist nun ungenießbar.

Wie genau “funktioniert” Ihre Verpackung?

Sobald das verpackte Lebensmittel ungenießbar wird und Fäulnisgase abgibt, verändert die Siegelfolie im Tast(e)-Food-Konzept partiell ihre Oberflächenstruktur.

Woher wissen Kund_innen wie Ältere und Nicht-Muttersprachler_innen, welche Verpackungshaptik für welchen Essbarkeitszustand des Inhalts steht?

Mein Ziel ist es, dass die Kunden anhand der Verpackung intuitiv verstehen, wann das Lebensmittel abgelaufen ist. So lange das verpackte Lebensmittel genießbar ist, weist die Siegelfolie keine Struktur auf. Die erfühlbare Struktur erscheint erst, wenn das Lebensmittel ungenießbar ist (so wie es in der Natur auch bei Schimmel der Fall ist). Die Strukturen sind dabei an solchen aus dem unmittelbaren Umfeld der verpackten Lebensmittel abgeleitet: Fischverpackungen “entwickeln” Schuppen (bzw. in dem eingereichten Beispiel “Wellen”). Bei verderbenden (Rind-)Fleischprodukten erscheint eine Lederstruktur. Und dass der Joghurt “kippt”, könnte man an einer Oberfläche ertasten, die an ausflockendes Eiweiß erinnert.

Ist das Zukunftsmusik oder existiert diese Folie tatsächlich?

Leider ist es bisher nur eine Idee. Am Fraunhofer-Institut wurde aber bereits in diese Richtung geforscht - soweit ich weiß, ohne umsetzbare Ergebnisse. Derzeit ist es möglich, dass Folien ihren Transparenzgrad verändern können. Allerdings ist das nur in Abhängigkeit von vergangener Zeit in die Folien „einprogrammierbar“ und orientiert sich wieder eher an Richtwerten als am tatsächlichen Verfall der Lebensmittel. Ich hoffe aber, dass mein Beitrag dazu anregen kann, weitere Forschung in diese Richtung zu betreiben.